Donnerstag, 7. Juli 2022

WEST SIDE STORY (2021)

Regie: Steven Spielberg, Drehbuch: Tony Kushner, Musik: Leonard Bernstein
Darsteller: Ansel Elgort, Rachel Zegler, Ariana DeBose, Josh Andrés Rivera, Rita Moreno, Mike Faist, David Alvarez, Corey Stoll, Brian d'Arcy James, Iris Menas, Patrick Higgins, Sebastian Serra, Jess LeProtto, Paloma Garcia-Lee, Eloise Kropp, David Aviles Morales, Kyle Allen
West Side Story (2021) on IMDb Rotten Tomatoes: 92% (8,2); weltweites Einspielergebnis: $76,0 Mio.
FSK: 12, Dauer: 157 Minuten.
New York, 1958: Während das reichlich heruntergekommene Viertel Upper West Side in einen gehobenen Stadtteil verwandelt wird und in der Folge die bisherigen Einwohner – überwiegend puertoricanische Immigranten und arme Weiße – nach und nach vertrieben werden, wird die heftige Rivalität zwischen zwei Jugendgangs trotz der Bemühungen von Lieutenant Schrank (Corey Stoll, "Ant-Man") und Sergeant Krupke (Brian d'Arcy James, "Spotlight") immer hitziger. Die aus den Nachkommen europäischer Einwanderer zusammengesetzten Jets um Anführer Riff (Mike Faist, "Wildling") und die puertoricanischen Sharks um den Amateur-Boxer Bernardo (David Alvarez, TV-Serie "American Rust") prallen immer wieder aufeinander, ein großangelegter "Rumble" scheint unausweichlich. Bei einem früheren dieser großen Kämpfe hätte Riffs bester Freund und damaliger Co-Anführer der Jets, Tony (Ansel Elgort, "Baby Driver"), beinahe einen Gegner getötet und mußte daher für ein Jahr ins Gefängnis – seitdem arbeitet er im Laden von Valentina (Rita Morena, "Der König und ich") und versucht, sich von den Gangs fernzuhalten, zumal er noch auf Bewährung ist. Als Tony allerdings bei einer Tanzveranstaltung ausgerechnet auf Bernardos jüngere Schwester María (Rachel Zegler) trifft und die beiden sich auf den ersten Blick ineinander verlieben, droht die Situation endgültig zu eskalieren. Während Tony und María in ihrer verbotenen Liebe schwelgen, wird der nächste Rumble vereinbart ...

Kritik:
Die Anzahl der Menschen, die sich eine Neuverfilmung des 1957 am Broadway uraufgeführten Musicals "West Side Story" wünschten, dürfte sehr niedrig gewesen sein. Immerhin gilt Robert Wises mit sagenhaften zehn OSCARs prämierte erste Adaption aus dem Jahr 1961 als eines der besten und beliebtesten Musicals aller Zeiten. Dementsprechend schien eine Neufassung in etwa so sinnvoll wie, sagen wir, ein Remake von "Ben-Hur" oder "Psycho". Steven Spielberg war das allerdings herzlich egal, denn er wollte schon immer einmal ein Musical drehen und die "West Side Story" war ein offensichtlich prägender Teil seiner Jugend und wenn der Quasi-Erfinder des modernen Blockbusters eine neue Version der "West Side Story" drehen will, dann dreht er eine neue Version der "West Side Story"! Jedoch: Selbst der Name Steven Spielberg garantiert heutzutage keinen kommerziellen Erfolg mehr, und so floppte "West Side Story" trotz eines lukrativen Starttermins zur Weihnachszeit, starker Kritiken und immerhin sieben OSCAR-Nominierungen auf der ganzen Linie: Bei einem Budget von etwa $100 Mio. belaufen sich die globalen Einspielergebnisse auf weniger als $80 Mio. … Verdient ist das nicht, denn Spielbergs "West Side Story" kann sich mit dem Original locker messen und übertrifft es qualitativ mit seinen behutsamen, aber effektiven Modernisierungen womöglich sogar leicht. Aber vielleicht war Spielbergs trotz der inhaltlichen Anpassungen bewußt altmodische, sich nicht an heutige Sehgewohnheiten anbiedernde Inszenierung einfach etwas zu traditionsbewußt, um 60 Jahre nach der ersten Verfilmung noch einmal ein großes Publikum in die Kinos zu locken.

Meine eigenen Erwartungen an Spielbergs "West Side Story" waren wohl sogar noch ein wenig geringer als die anderer Kinofans, denn ich war bereits nie ein großer Fan des Originals. Zum einen holte mich die Romeo und Julia-Geschichte mit tanzenden Jugendgangs nie richtig ab, zusätzlich traf auch die Musik der beiden Legenden Leonard Bernstein und Stephen Sondheim nur bedingt meinen Geschmack. Natürlich sind die Welthits "Maria" und "Somewhere" schöne Balladen und "America" ist ein echter Gassenhauer; doch im Vergleich zu meinen Lieblings-Musicals wie "Les Misérables", "Heut' gehen wir bummeln", "Singin' in the Rain","Hello Dolly!", "Anatevka" oder "Chicago" läßt mich die Musik der "West Side Story" doch relativ kalt. Das ändert sich naturgemäß auch in Spielbergs Version nicht, in der lediglich die Reihenfolge der Songs leicht variiert wird. Begeisternd ist hingegen die aufwendige und gewollt an die großen Musicals der 1950er und 1960er Jahre erinnernde Choreographie der Massen-Tanzszenen, die dabei nur bedingt zur eigentlich sehr ernsten Handlung passen wollen. Auch dies war bereits bei Robert Wises Film ein Problem, dort sogar noch ausgeprägter. Spielberg war sich dessen offensichtlich bewußt und verzichtet deshalb etwa auf die alles andere als geschmackssicheren Tanzschritte bei einer Beinahe-Vergewaltigung, auch der große "Rumble" zwischen Sharks und Jets ist realistischer gefilmt. Es ist generell der größte Unterschied zwischen beiden Versionen der "West Side Story": Spielbergs Fassung wirkt erheblich lebensechter, indem sie die gar nicht so wenigen düsteren Szenen nicht verharmlost, sondern möglichst lebensecht zeigt, vom alltäglichen Rassismus und der Thematik der Gentrifizierung bis zur wirklich beklemmenden, ja abstoßenden Beinahe-Vergewaltigungsszene. Durch diese stärkere Einbindung in die Realität ist Spielbergs "West Side Story" naturgemäß weniger Eskapismus als das Original, aber das ist in dieser Hinsicht nunmal eindeutig schlecht gealtert, weshalb Spielbergs Ansatz – in dem Jets und Sharks weitgehend gleichberechtigt behandelt werden, während bei Robert Wise der Fokus klar auf den Jets lag – eindeutig eine Verbesserung darstellt. Alle – jedenfalls für mich – problematischen Stellen konnte man jedoch nicht ausmerzen, ohne das Ausgangsmaterial zu verfälschen, und so bleibt es dabei, daß der Handlungsverlauf und das Verhalten der Figuren mitunter befremdet. Nennt mich einen Spießer, aber mit dem Mann die Nacht zu verbringen, der wenige Stunden zuvor meinen geliebten Bruder ermordet hat, halte ich beispielsweise für minimal unpassend ...

Spaß macht die neue "West Side Story" zumindest bis zum großen Rumble natürlich trotzdem mit den – persönlicher Geschmack hin oder her – schmissigen Songs und einer detaillierten, liebevollen und farbenfrohen Rekronstruktion des New York der späten 1950er Jahre, die vom erfahrenen Kameramann Janusz Kamiński ("Schindlers Liste") farblich am Stil der damaligen Musical-Ära ausgerichtet wurde. Und auch die Besetzung sorgt für viel Freude, wobei vor allem die Frauen großen Eindruck hinterlassen. Da wäre zunächst die bezaubernde Hauptdarstellerin Rachel Zegler, die in ihrem Leinwanddebüt (im Alter von 18 Jahren) ebenso selbstbewußt wie talentiert auftritt und die zentrale Liebesgeschichte zwischen María und Tony mit ganz viel Herz erfüllt, zudem sehr gut singt. Dafür gab es einen verdienten Golden Globe, auch wenn sie bei den OSCAR-Nominierungen etwas überraschend leer ausging. Hier triumphierte dafür als beste Nebendarstellerin Ariana DeBose (TV-Serie "Westworld"), die als Bernardos temperamentvolle Freundin Anita immer wieder zum Scenestealer avanciert. Und dann ist da auch noch die zum Zeitpunkt der Dreharbeiten 87-jährige puertoricanische Legende Rita Moreno (eine von, Stand 2022, 17 EGOT-Gewinnern, die also Emmy, Grammy, OSCAR und Tony erhielten), die in der Original-"West Side Story" die Anita spielte und dafür einen OSCAR bekam. Spielberg schuf für die rüstige Dame eigens die neue Figur der verwitweten Valentina, die mit einem Weißen verheiratet war, jetzt Tonys mitfühlende Arbeitgeberin ist, als eine Art von allen respektierte Vermittlerin zwischen Jets und Sharks fungiert und gerade gegen Ende in einigen emotionalen Szenen und mit dem Song "Somewhere" bewegt. Auch die Männer im "West Side Story"-Cast machen ihre Sache gut, ohne so sehr glänzen zu können wie ihre weiblichen Gegenstücke. Am überzeugendsten fällt die Leistung von Debütant Josh Andrés Rivera als Bernardos sanfter und kluger Freund und Marías Verehrer Chino aus. Diese Rolle wurde im Vergleich zum Original deutlich aufgewertet und Rivera interpretiert sie in ihrer Ambivalenz ganz vorzüglich. Mike Faist überzeugt als aufbrausender Jets-Anführer Riff ebenfalls, auch wenn die Figur eher klischeehaft wirkt. Vergleichsweise blaß bleibt dagegen David Alvarez als Sharks-Anführer Bernardo. Und Hauptdarsteller Ansel Elgort? Der "Baby Driver"-Star spielt und singt gut und hat einige starke Szenen, so richtig mitreißen kann er aber nur selten und die Chemie zwischen ihm und Rachel Zegler hätte gerne noch ein wenig stärker ausgeprägt sein dürfen. Letztlich ist Steven Spielberg eine richtig gute Neuverfilmung eines Musical-Klassikers gelungen, der man die Leidenschaft des Regisseurs für den Stoff und das Genre jederzeit anmerkt und die schauspielerisch und handwerklich nur wenige Wünsche offenläßt – die Handlung selbst ist und bleibt jedoch trotz kluger Anpassungen durch Spielberg und Drehbuch-Autor Tony Kushner ("Lincoln") zumindest in Teilen Geschmackssache ...

Fazit: Spielbergs "West Side Story" ist eine betont altmodisch inszenierte, inhaltlich nur leicht, aber klug modernisierte Hommage ans Musical-Kino der 1960er Jahre mit einer guten, spiel- und sangesfreudigen Besetzung.

Wertung: 7,5 Punkte.
 
 
Bei Gefallen an meinem Blog würde ich mich über die Unterstützung von "Der Kinogänger" mittels etwaiger Bestellungen über einen der amazon.de-Links in den Rezensionen oder über das amazon.de-Suchfeld in der rechten Spalte freuen, für die ich eine kleine Provision erhalte.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen