Dienstag, 15. Dezember 2020

Nachruf: John le Carré (1931-2020)

 Es ist maximal ironisch, aber trotzdem wahr: Obwohl ich bis heute nicht eine Seite von John le Carré gelesen habe, ist er mein liebster Spionageroman-Schriftsteller! Das liegt einfach daran, daß seine Bücher vor allem in Großbritannien, aber auch in Hollywood vielfach für Kino und TV adaptiert wurden - erfreulich oft in hoher Qualität - und man alleine aus diesen Verfilmungen le Carrés besonderen, sich von den meisten Genrekollegen stark abhebenden Erzählstil erkennen kann. Und obwohl John le Carré (dessen bürgerlicher Name übrigens David Cornwell war) sich nur vereinzelt direkt an den Verfilmungen als Drehbuch-Autor oder Produzent beteiligte, reicht das in meinen Augen vollkommen aus, um sich diesen kleinen Nachruf auf einem Filmblog zu verdienen (in dem ich mich jedoch primär den filmischen Umsetzungen seiner Werke widme). Denn vor drei Tagen verstarb John le Carré im Alter von 89 Jahren.

Anders als die meisten Autoren dieses Genres zehrte der Ex-Spion (in den 1950er Jahren) le Carré aus eigenen Erfahrungen im Kalten Krieg, was in betont realistischen, unglamourösen und antiheroischen Geschichten resultierte, deren Protagonisten nahezu ebenso viele Grautöne aufweisen wie die Antagonisten. Paradebeispiel dafür ist John le Carrés berühmteste und wohl populärste Schöpfung: der gewissenhafte und melancholische MI6-Spion George Smiley. Wirkt der schon in den Verkörperungen durch den unvergessenen Sir Alec Guinness in den beiden BBC-Miniserien "Dame, König, As, Spion" (1979) und "Smileys Leute" (1982) wie auch durch den dafür OSCAR-nominierten Gary Oldman in der Kinoadaption von "Dame, König, As, Spion" aus dem Jahr 2011 auffällig unauffällig und traurig, mithin wie das Gegenteil von James Bond, beschreibt le Carré den Brillenträger in seinen Büchern gar noch weniger schmeichelhaft (klein, pummelig, alles andere als charismatisch). Man könnte auch sagen: George Smiley ist der personifizierte Grauton - jedoch nicht in moralischer Hinsicht, denn zu le Carrés beliebtester Figur dürfte er vor allem wegen seiner ausgeprägten Menschlichkeit geworden sein, die er sich gegen alle Widerstände stets bewahrt.

Als Antithese zu den glamourösen und actionreichen Spionage-Abenteuern von James Bond und Konsorten sind le Carré-Adaptionen seit Mitte der 1960er Jahre beliebt. Zwar läßt sich mit den meist bedächtig erzählten, detailverliebten und komplexen Geschichten voller ambivalenter Charaktere schwerlich ein Blockbuster-Publikum erreichen, doch in Anhängern gehobener Film- oder Serienkunst fanden die Macher von le Carré-Adaptionen stets ein dankbares Publikum. Den Anfang machte 1965 Martin Ritts zweifach OSCAR-nominierter britischer Schwarzweiß-Klassiker "Der Spion, der aus der Kälte kam", in dem der Hollywood-Star Richard Burton als Geheimagent Leamas vorgeblich zum Überläufer wird, um einen gefährlichen Stasi-Agenten zu diskreditieren; George Smiley hat hier übrigens einen ersten Gastauftritt, gespielt von Rupert Davies. Es folgten einige weniger bemerkenswerte Produktionen wie Sidney Lumets "Anruf für einen Toten" (1966) und der deutsche TV-Film "Endstation" (1973), ehe die BBC ab Ende der 1970er Jahre mit den beiden bereits angesprochenen und hochgelobten Smiley-Miniserien le Carrés Ruhm abseits des reinen Buchmarktes explodieren ließen.

In den 1980er Jahren waren le Carrés Werke beinahe allgegenwärtig in TV und Kino: Neben einer weiteren erfolgreichen BBC-Miniserie, "Ein blendender Spion" (1987), kamen George Roy Hills "Die Libelle" (1984) mit Diane Keaton und Klaus Kinski und Fred Schepisis "Das Rußland-Haus" (1990) mit Sean Connery und Michelle Pfeiffer in die Kinos. Mit der Deutschen Einheit, der Auflösung der Sowjetunion und damit dem Ende des Kalten Krieges gerieten auch John le Carrés Geschichten eine Zeitlang außer Mode, weshalb erst 2001 ein weiterer Kinofilm folgte, bei dem sich le Carré am Drehbuch beteiligte: John Boormans "Der Schneider von Panama" mit Pierce Brosnan, Geoffrey Rush und Jamie Lee Curtis. Der Film überraschte mit satirisch-komödiantischen Tönen und war zwar kein kommerzieller Erfolg, leitete aber das Post-Kalter Kriegs-Comeback le Carrés ein. Der Autor schaffte es nämlich, nach Ende des Kalten Krieges neuere Themen ähnlich packend umzusetzen, was sich auch in der hochspannenden, für vier OSCARs nominierten Verfilmung seines Pharma-Thrillers "Der ewige Gärtner" von 2005 zeigte. Unter der Regie von Fernando Meirelles nimmt es Ralph Fiennes als britischer Diplomat an der Seite einer von Rachel Weisz verkörperten Aktivistin mit skrupellosen Pharma-Managern auf, die in Afrika die Bevölkerung als Testsubjekte für neue Medikamente mißbrauchen.

Die 2010er Jahre sollten sich als wahrscheinlich sogar erfolgreichstes Jahrzehnt für le Carré-Adaptionen erweisen, zumal der Schriftsteller an allen Werken als Produzent beteiligt war (was zuvor nur bei "Der Schneider von Panama" der Fall war). Den Auftakt machte 2011 Tomas Alfredsons hochgelobte Smiley-Neuverfilmung "Dame, König, As, Spion" mit einem brillanten Gary Oldman in der Hauptrolle, es folgten 2014 im Jahr Anton Corbijns in Hamburg spielender Terrorismus-Thriller "A Most Wanted Man" mit Philip Seymour Hoffman und 2016 Susanna Whites "Verräter wie wir" mit Ewan McGregor sowie die britischen TV-Miniserien "The Night Manager" (2016) und "Die Libelle" (2018) - bei letzterer führte der gefeierte südkoreanische Filmemacher Park Chan-wook ("Oldboy") Regie. Vor allem "The Night Manager" über einen von Tom Hiddleston gespielten Hotel-Nachtmanager, der sich nach einem verhängnisvollen Vorfall in Kairo zum Ziel setzt, einen einflußreichen Waffenhändler (Hugh Laurie) zur Strecke zu bringen, war ein riesiger Erfolg und wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. mit drei Golden Globes. Auch nach dem Tode John le Carrés dürfte klar sein, daß vielen seiner Romane (Neu-)Verfilmungen bevorstehen, und wenn die so hochklassig ausfallen wie viele der bisherigen Adaptionen, dann ist das Grund zur Freude.

Am 12. Dezember 2020 starb John le Carré in Truro in Cornwall mit 89 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung. R.I.P.

P.S.: Ich habe sehr wohl vor, früher oder später tatsächlich etwas von John le Carré zu lesen ...

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