Donnerstag, 16. April 2020

Klassiker-Rezension: HOUSE (1977)

Originaltitel: Hausu
Regie: Nobuhiko Ōbayashi, Drehbuch: Chiho Katsura, Musik: Asei Kobayashi, Mickie Yoshino
Darsteller: Kimiko Ikegami, Yōko Minamida, Kumiko Ōba, Miki Jinbo, Ai Matubara, Masayo Miyako, Eriko Tanaka, Mieko Satō, Kiyohiko Ozaki, Saho Sasazawa, Haruko Wanibuchi
Hausu (1977) on IMDb Rotten Tomatoes: 91% (7,5); US-Einspielergebnis: $0,2 Mio.
FSK: 16, Dauer: 88 Minuten.
Als ihr geplantes Sommer-Ferienlager ausfällt, fährt die japanische Schülerin Oshare (Kimiko Ikegami, "Bruder und Schwester") mit sechs Freundinnen zu Oshares Tante (Yōko Minamida, "Kampfgeschwader Zero"), die abgelegen in einem großen Haus auf dem Land wohnt. Doch die Tante verhält sich merkwürdig und das Haus stellt sich alsbald als noch viel seltsamer heraus. Als dann auch noch eines der Mädchen nach dem anderen auf immer absurdere Art und Weise im Haus verschwindet, wird den verbleibenden Freundinnen bald klar, daß dies kein übermäßig vergnüglicher Urlaub für sie werden wird. Was ist das große Geheimnis dieses mysteriösen Spukhauses? Warum scheint es seine Besucherinnen regelrecht zu verschlucken? Und gibt es für die anderen Mädchen noch eine Chance, ihre Freundinnen und sich selbst zu retten?

Kritik:
Lange vor der vor allem durch die "Ring"- und die "Ju-on: The Grudge"-Reihen geprägten und auch in den Westen übergeschwappten J-Horror-Welle im frühen 21. Jahrhundert gab es bereits einen japanischen Genrevertreter, der zumindest im Rückblick als wegweisend gilt: Zwar war "House", die zweite von ca. 40 (Langfilm-)Regiearbeiten von Nobuhiko Ōbayashi ("Hanagatami") bei der Veröffentlichung in Japan nicht unbedingt ein Kritikerliebling, kam speziell beim jungen Publikum aber glänzend an und erwies sich somit als kommerzieller Erfolg. Ein zweites Leben erhielt "House" Jahrzehnte später, als er sich im Heimkino-Zeitalter auch langsam im Westen verbreitete – in Deutschland lief er beispielsweise im Jahr 2006 im Rahmen der Retrospektive des Fantasy Filmfests (wo ich ihn sah) und in den USA gab es 2010 sogar einen regulären Re-Release, der beachtliche gut $200.000 einspielte. Der Grund für diese anhaltende Wirkung ist recht einfach zu benennen: "House" ist einer der verrücktesten, kreativsten, durchgeknalltesten Filme, die je das Licht der Welt erblickt haben! Als krude, wenn auch keineswegs durchgängig funktionierende Mischung aus Spukhaus-Horror der Marke "Conjuring" oder "Amityville Horror", satirischen Teenie-Slashern wie "Scream" und vor allem entfesselten B-Movie-Horrorkomödien wie Peter Jacksons "Braindead" oder Sam Raimis "Tanz der Teufel 2" sucht "House" bis heute seinesgleichen.

Als ich "House" beim Fantasy Filmfest bei immer gelösterer bis fassungsloser Partystimmung im Publikum sah, war ich mir sicher, daß Regisseur Ōbayashi und sein Drehbuch-Autor Chiho Katsura bei Konzeption und Ausführung des Films auf Drogen waren – und zwar auf ziemlich harten. Die wahre Erklärung (zumindest laut Ōbayashi) ist allerdings vergleichsweise harmlos: Er ließ sich von den höchst phantasievollen Ideen seiner präpubertären Tochter inspirieren, die er dann in einen groben Storyverlauf überführte, welchen Katsura in ein komplettes Drehbuch umsetzte. Die Geschichte fängt mit dem Sommerferien-Ausflug noch vergleichsweise harmlos an, wenngleich die Namensgebung der Mädchen bereits andeutet, wie unkonventionell "House" sich entwickeln wird, denn sie haben keine echten Namen, sondern sind nach ihren prägenden Eigenschaften oder Fähigkeiten benannt. Neben Protagonistin Oshare respektive "Gorgeous" sind das die kampfstarke "Kung Fu" (Miki Jinbo), die schlaue "Prof" (Ai Matsubara, TV-Serie "Shogun"), die Tagträumerin "Fantasy" (Kumiko Oba), die selbsterklärende "Sweet" (Masayo Miyako), die musikalische "Melody" (Eriko Tanaka) und die verfressene "Mac" (Mieko Sato) - zumindest in den englischen Untertiteln, mit denen ich den Film sah (ich glaube, synchronisiert wurde er nie). Das klingt zumindest nach einer gut durchgemischten Truppe, die es durchaus mit übernatürlichen Phänomenen aufnehmen könnte – gegen dieses Spukhaus kommen jedoch auch sie nur bedingt an …

Daß die Mädels eines nach dem anderen dem Haus zum Opfer fallen (ich will eigentlich nicht spoilern, aber dabei spielen Bettwäsche und ein Klavier eine Rolle), läßt sich für das Publikum aber schon deshalb verschmerzen, weil sie ehrlich gesagt ziemlich nerven. Das ist natürlich nicht ungewöhnlich für Horrorfilme mit Teenagern und bei einem dermaßen schrillen Film wie "House" ist es wohl angemessen, daß auch seine Protagonistinnen überdurchschnittlich schrill und nervig ausfallen – trotzdem wäre eine etwas sympathischer rüberkommende Figurenriege sicherlich nicht falsch gewesen. Apropos schrill und nervig: Das ist ebenso eine sehr passende Beschreibung der Musik von "House" – was umso lästiger ist, als ich mich an keinen anderen Film erinnern kann, in dem die Musik dermaßen dominant und aufdringlich ist. Wie gesagt ist "House" weit davon entfernt, ein perfekter Film zu sein. Je länger er allerdings dauert, desto bereitwilliger verzeiht man ihm seine Schwächen, weil er in zunehmendem Maße wunderbar enthemmt und irre wird. Bemerkenswert ist auch die Anzahl für die damalige Zeit innovativer Stilmittel, die Ōbayashi zur Anwendung bringt, die Palette reicht von einfachen Split-Screens über gemalte Hintergründe bis zu äußerst schrägen Spezialeffekten. Und das Tempo, in dem er diese Stilmittel gerade in der zweiten Hälfte ausspielt und bemerkenswerte Bildkompositionen erschafft, ist so rasant, daß man als Zuschauer immer wieder kaum dazu kommt, die eine Verrücktheit gedanklich zu verdauen, ehe schon die nächste, noch größere folgt. Wem das zu vage klingt: Letztlich ist dieser Text sowieso nur ein Versuch, einen Film zu beschreiben, den man in seiner exzentrischen und bizarren Andersartigkeit kaum angemessen beschreiben kann (was bei japanischen Filmen natürlich öfter vorkommt, siehe etwa "Belladonna", "Symbol" oder "R100"). Und am Ende der 90 Minuten konnte ich noch nicht einmal wirklich sagen, ob mir "House" nun gefiel oder nicht. Fakt ist aber: Langweilig kann es bei diesem unnachahmlichen Genremix eigentlich niemandem werden …

Fazit: "House" ist eine einzigartige, durchgedrehte Horrorkomödie, die mit ihrer zelebrierten Schrillheit phasenweise ziemlich nervt, aber einem im Handlungsverlauf mit überbordendem, vor allem visuell einfallsreichen Wahnsinn vor Staunen den Mund offenstehen läßt.

Wertung: Eigentlich nicht bezifferbar, aber wenn man mich festnageln will: 7 Punkte.

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