Regie: Baltasar Kormákur, Drehbuch: William Nicholson und
Simon Beaufoy, Musik: Dario Marianelli
Darsteller: Jason Clarke, Josh Brolin, Jake Gyllenhaal, Keira
Knightley, John Hawkes, Emily Watson, Michael Kelly, Sam Worthington,
Elizabeth Debicki, Martin Henderson, Robin Wright, Ingvar Eggert Sigurðsson,
Ang Phula Sherpa, Pemba Sherpa, Naoko Mori, Thomas M. Wright, Micah Hauptman,
Clive Standen, Mia Goth, Vanessa Kirby
Jahrzehntelang war eine Besteigung des Mount Everest im
Himalaya ein Wagnis, das nur die mutigsten und besten Bergsteiger eingingen – und
nicht wenige von ihnen bezahlten diesen Wagemut mit ihrem Leben. Doch 1993
eröffnet der erfahrene neuseeländische Bergsteiger Rob Hall (Jason Clarke,
"Planet der Affen: Revolution") seine kleine Firma Adventure
Consultants, die unter der Leitung von Hall und einigen anderen Bergführern
auch Amateur-Bergsteiger auf den Gipfel des mit 8848 Metern höchsten Berges der
Erde bringen will. Das Konzept geht auf, andere Unternehmen ziehen in den
nächsten Jahren nach, weshalb es 1996 ein regelrechtes Gedränge von mehreren
Expeditionen gibt, die allesamt innerhalb weniger Tage den Gipfel erreichen
wollen. Zu Halls Kunden zählen der bekannte Journalist und "Into the Wild"-Autor Jon Krakauer (Michael
Kelly, "Der fremde Sohn"), der sympathische Briefträger
Doug Hansen (John Hawkes, "The Sessions") – der bei einem ersten Versuch ein Jahr zuvor kurz vor dem Gipfel umkehren mußte –, der großspurige texanische Millionär Beck
Weathers (Josh Brolin, "Sin City 2") und die Japanerin Yasuko
Namba (Naoko Mori, TV-Serie "Torchwood"), die bereits sechs der sieben
höchsten Berge ihres jeweiligen Kontinents (auch als die "Seven Summits" bekannt) bezwungen hat. Angesichts der Umstände entscheidet sich
Hall, sich mit seinem eigentlichen Konkurrenten Scott Fisher (Jake Gyllenhaal,
"Nightcrawler") zusammenzutun, um mit beiden Gruppen gemeinsam den
Aufstieg anzugehen. Das funktioniert anfangs relativ gut, doch beim
Abstieg geraten die Männer und Frauen in einen urplötzlich aufziehenden
gewaltigen Schneesturm, den nicht alle lebendig überstehen werden …
Kritik:
Mit Bergsteigerfilmen ist es heutzutage ein bißchen so wie
mit Western. Beide Genres werden nur noch selten bedient, weil viele der
Meinung sind, eigentlich wäre schon alles zur Thematik erzählt. Der Unterschied
ist natürlich, daß das bei Western daran liegt, daß es in den USA speziell
zwischen den 1930er und den 1960er Jahren unzählige Filme gab, die fast jede
noch so kleine und unwahrscheinliche Facette des Genres abdeckten – wohingegen Bergsteigerfilme
zwar zumindest im deutschsprachigen Raum ebenfalls eine Zeitlang ungewöhnlich
populär waren (Stichwort Luis Trenker und Leni Riefenstahl), vor allem aber schlicht
und ergreifend nur wenige dramaturgische Variationsmöglichkeiten anbieten. Zwar gibt es immer wieder mal mehr oder weniger geglückte Versuche, die
Hintergrundstory aufzupeppen – ob als Verfolgungsjagd mit Gangstern in Clint
Eastwoods "Im Auftrag des Drachen" (1975) oder in Renny Harlins
"Cliffhanger" (1993) oder durch die
Integration eines Nebenhandlungsstrangs aus der Nazi-Zeit in Philipp Stölzls
"Nordwand" (2008) –, aber im Kern bleibt die Story immer gleich:
Bergsteiger geraten in Schwierigkeiten und versuchen, lebendig wieder
runterzukommen. "Everest" kann daran nicht viel ändern, eigentlich gar nichts – schon weil es sich um eine wahre, ziemlich gut (unter
anderem durch mehrere Bücher von Überlebenden) dokumentierte
Geschichte handelt, an deren Fakten sich der isländische Regisseur Baltasar
Kormákur ("Contraband") und die beiden erfahrenen Drehbuch-Autoren
William Nicholson ("Les Misérables") und Simon Beaufoy ("127 Hours") weitgehend halten müssen.
Durch diese Beschränkung ist es nunmal nicht möglich, es
beispielsweise Martin Campbells "Vertical Limit" aus dem Jahr 2000
gleichzutun, der einerseits echten Bergsteigern vor lauter künstlerischen Freiheiten
die Tränen in die Augen trieb, andererseits mit seiner pausenlosen Dramatik und
Over-the-Top-Actionszenen aber sehr unterhaltsam ausfiel. Solche Sperenzchen
versucht "Everest" gar nicht erst, stattdessen steht eine möglichst
realitätsnah und trotz ihrer Dramatik vergleichsweise sachlich erzählte
Geschichte im Vordergrund. Theoretisch ist das keine schlechte Idee, nur hakt
es gleich an mehreren Punkten ein wenig an der Umsetzung. Das beginnt mit der
Figurenzeichnung und endet mit den eigentlichen Bergsteiger-Szenen. Bei den
Figuren konzentriert sich "Everest" auf vier Figuren: die beiden
Bergführer Rob und Scott sowie die Amateur-Bergsteiger Beck und Doug. Der
Vorteil dieser Herangehensweise ist, daß die vier Schauspieler Jason Clarke, Jake
Gyllenhaal, Josh Brolin und John Hawkes allesamt reichlich Gelegenheit
erhalten, ihre beträchtliche Darstellungskunst zu demonstrieren – und das, obwohl das
Drehbuch selbst diesen vier zentralen Charakteren nicht wirklich viel Tiefe
verleiht. Der Nachteil ist, daß man dem Rest des großen Ensembles ziemlich fremd bleibt,
was selbstverständlich eine ernsthafte emotionale Bindung verhindert, womit sich
dann auch das Mitfiebern um ihr Überleben in Grenzen hält. Dank der bis in die Nebenrollen hochkarätigen Besetzung (Keira Knightley und Robin Wright beispielsweise haben als die Ehefrauen zweier Expeditionsteilnehmer nicht viel mehr zu tun, als in
ihrem jeweiligen Zuhause bangend auf Nachrichten zu warten) funktioniert das bei
einigen Figuren dennoch; mir sind beispielsweise die beiden Bergführer Anatoli (Ingvar
Eggert Sigurðsson aus Kormákurs "Rejkjvavík-Rotterdam: Tödliche Lieferung") und Guy (Sam Worthington, "Zorn der Titanen")
sowie im Basiscamp die Touren-Organisatorin Helen (Emily Watson, "Die Entdeckung der Unendlichkeit") und die junge Ärztin Caroline (Elizabeth
Debicki, "Der große Gatsby") positiv aufgefallen. Dennoch wäre in
Sachen Figurenzeichnung viel mehr möglich gewesen, und das nicht nur, weil
ausgerechnet Michael Kellys Rolle als bekannter Schriftsteller Jon Krakauer eher
blaß bleibt.
Ähnlich sieht es bei den Bergsteiger-Szenen aus. Die sind,
soweit ich als Laie das beurteilen kann, grundsolide umgesetzt; nur ist
"grundsolide" eben selten mit "spannend" gleichzusetzen.
Tatsächlich finde ich, daß die Kletterei ebenso wie der gesamte Film zu konventionell
und zu oberflächlich umgesetzt ist. Über die Feinheiten und die Schwierigkeiten
des Bergsteigens lernt man so gut wie überhaupt nichts. Das haben frühere Filme zum
Thema wesentlich besser hinbekommen, angefangen bei dem hervorragenden
deutschen Genreklassiker "Die weiße Hölle vom Piz Palü" von G.W.
Pabst und Arnold Fanck – und das war ein 1929 veröffentlichter Stummfilm! So
kommt es, daß einem (sofern man schon mal einen Bergsteiger-Film gesehen hat) alles,
was "Everest" einem vorsetzt, sehr vertraut vorkommt und einen kaum
in Aufregung zu versetzen vermag – genau deshalb wäre ja auch eine starke emotionale
Bindung an die Protagonisten so wichtig gewesen … Immerhin kann man sich als
Zuschauer weiterhin an den guten schauspielerischen Leistungen erfreuen und selbstverständlich
an den erwartungsgemäß atemberaubenden 3D-Bergpanoramen von Kameramann Salvatore
Totino ("Illuminati"), die den anfangs friedlichen Mount
Everest ebenso glänzend zur Geltung bringen wie später auch den tödbringenden Berg – wiewohl
übrigens keineswegs nur im Himalaya gedreht wurde, sondern auch in den
italienischen Alpen und in der isländischen Gletscherlandschaft.
Daß all dies also insgesamt kaum über den Status "ganz nett"
hinauskommt, macht es umso bedauerlicher, daß die Filmemacher die absolut
realistische Gelegenheit verstreichen lassen, einen kritischen Blick auf die
Umstände des Unglücks zu werfen. Der vielfach kritisierte
"Massentourismus" am Mount Everest zu Lasten der Sicherheit, die
Umweltverschmutzung durch die immer zahlreicheren Bergsteiger, die eigentlich
leicht zu vermeidenden Mängel in der Organisation oder die unnötige und
gefährliche Konkurrenz zwischen einzelnen Gruppen … all das streift
"Everest" höchstens am Rande, ohne näher darauf einzugehen. Ganz
offensichtlich wollten Regisseur Kormákur und die beiden Autoren einen anderen
Schwerpunkt setzen, der sich im Grunde genommen auf die bloße Abbildung der
Geschehnisse beschränkt. Das ist durchaus lobenswert, auch und
gerade was die erfreulich sachliche Darstellung der einzelnen Todesfälle
betrifft, die nicht etwa spektakulär aufgeplustert werden, sondern teilweise
beinahe beiläufig auftreten. Insgesamt durfte man von einem prestigeträchtigen
Großprojekt wie diesem gerade angesichts der Beteiligung so vieler renommierter Filmschaffender dennoch sicher mehr erwarten als einen
geradlinigen, ehrlichen und konventionell inszenierten Bergsteigerfilm von der
dramaturgischen Stange. Da paßt es dann auch irgendwie, daß selbst die Musik des OSCAR-Preisträgers Dario Marianelli ("Anna Karenina") erst im Abspann zu großer Form aufläuft ...
Fazit: "Everest" ist ein klassischer
Bergsteigerfilm, der mit beeindruckender Optik und
starken Darstellerleistungen punktet, jedoch in seinem Bemühen um Sachlichkeit
zu distanziert bleibt und gleichzeitig absolut nichts Neues zu bieten hat.
Wertung: 6,5 Punkte.
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