Regie: Raul
Garcia, Drehbuch: Stéphan Roelants und Raul Garcia, Musik: Sergio de la Puente
Ein Rabe kommt auf einen düsteren Friedhof geflogen, wo ihn zu seiner Überraschung eine weibliche Statue anspricht: Es ist der Tod höchstpersönlich
(gesprochen von der deutschen Fantasy-Schriftstellerin Cornelia Funke), der den
Raben – der in Wirklichkeit Edgar Allen Poe (Stephen Hughes) ist – davon überzeugen
will, endlich zu ihm/ihr zu kommen. Poe ist jedoch widerwillig, er will nicht
sterben ohne die Gewißheit, daß zumindest sein Werk ihn auf ewig überdauern
wird …
Kritik:
Beim Verlassen des Kinosaals nach dem Abspann hörte ich
jemanden sagen, der Film könne wohl nur einen echten Poe-Fan wirklich
begeistern. Nunja ... ich habe keine Ahnung, ob das stimmt, hoffe es aber
definitiv nicht. Fakt ist jedoch: Ich habe die makabren Erzählungen Edgar Allen
Poes (und viele der Verfilmungen) schon immer sehr geschätzt – und ich finde diesen Episodenfilm toll! Da
"Extraordinary Tales" innerhalb der Rahmenhandlung um den Autor und den Tod fünf Poe-Kurzgeschichten präsentiert, die von dem
spanischen Regisseur Raul Garcia (arbeitete in den 1990er Jahren als
Trickzeichner an mehreren Disney-Klassikern wie "Aladdin", "Der
König der Löwen" und "Tarzan" mit) alle mit verschiedenen Zeichnern in einem komplett
unterschiedlichen Stil animiert und inszeniert sind und jeweils einen sehr prominenten
Erzähler vorweisen können, werde ich in dieser Rezension nacheinander kurz auf
sie eingehen:
"The
Fall of the House of Usher", erzählt von Sir Christopher Lee:
Es beginnt gleich mit einem Highlight: Der detailverliebte
marionettenhafte Stil (man erkennt sogar die Holzkonturen bei den einzelnen
Figuren!) ist zu Beginn etwas gewöhnungsbedürftig, erweist sich im
Zusammenspiel mit Sir Christopher Lees großartiger Erzählstimme aber doch als
sehr effektiv. Überhaupt ist – erwartungsgemäß – der Erzähler der größte Trumpf
dieser Episode, denn Lees gravitätischer Bariton und Edgar Allen Poes elegant-morbide Verse
sind eine Kombination, die schlicht und ergreifend unübertrefflich ist! Daß die
makabre Geschichte über einen Mann, der von seinem Jugendfreund Roderick Usher
zu dessen Anwesen um Hilfe gerufen wird und dort Zeuge seltsamer Vorkommnisse
wird, sowieso sehr stimmungsvoll ist, hilft natürlich zusätzlich – auch die
Kürze (10 bis 15 Minuten) erweist sich meines Erachtens als hilfreich, denn
Jean Epsteins berühmten Stummfilm "Der Untergang des Hauses Usher"
von 1928 beispielsweise fand ich mit seiner Laufzeit von einer Stunde schon
deutlich zu lang, um durchgehend Stimmung und Spannung halten zu können.
Garcias Version gewinnt den direkten Vergleich auch dank der ungemein
stimmungsvollen Musik von Sergio de la Puente in meinen Augen deutlich. 9,5
Punkte.
"The Tell-Tale Heart", erzählt von Bela Lugosi:
Die älteste Episode dieser Anthologie stammt bereits aus dem
Jahr 2005 und fasziniert durch die außergewöhnlichen Schwarzweiß-Optik im Stil
des uruguayischen Comiczeichners Alberto Breccia, die in animierter Form an "Sin City" erinnert. Inhaltlich enttäuscht sie allerdings, denn
anders als bei "The Fall of the House of Usher" verliert dieser Poe-Klassiker
(auf Deutsch: "Das verräterische Herz") über einen Mord durch die
Kürzung auf nicht viel mehr als 5 Minuten zu viel seiner furchterregenden Essenz. In der Theorie könnte das der legendäre
"Dracula"-Darsteller Bela Lugosi wettmachen, der die Erzählung mit
seinem unverkennbaren ungarischen Akzent sehr emotional vorträgt – leider ist
die Tonqualität der viele Jahrzehnte alten Aufnahme mäßig, was einen ein
bißchen aus der makabren Atmosphäre herausreißt. Und auch die Musik, die anders
als bei den übrigen Episoden nicht von dem großartigen Sergio de la Puente
stammt, sondern von Javier López de Guereña und Erik Matro, ist eher
mittelmäßig geraten. 6,5 Punkte.
"The
Facts in the Case of M. Valdemar", erzählt von Julian Sands:
Mein Favorit in diesem Quintett (was vielleicht auch damit
zusammenhängt, daß es die einzige Episode ist, deren Vorlage ich nicht kannte):
Der britische Schauspieler Julian Sands ("Killing Fields") ist sicher
der am wenigsten populäre unter den Erzählern der "Extraordinary
Tales", aber dafür macht er seine Sache ganz ausgezeichnet. "The
Facts in the Cast of M. Valdemar" schildert ausgesprochen stimmmungsvoll
die faszinierende Geschichte eines (erkennbar nach Horror-Ikone Vincent Price
gestalteten) Arztes, der glaubt, den Tod durch Mesmerismus (eine Art Hypnose
mit Hilfe von Magneten) überlisten zu können. Seine These will er anhand seines
todkranken Freundes Monsieur Valdemar testen … Erstaunlicherweise funktioniert die
bunte Comic-Optik im leicht nostalgischen Stil der 1950er Jahre hervorragend im Zusammenspiel mit
der extrem unheimlichen, gänsehauterregenden Handlung. 10 Punkte.
"The
Pit and the Pendulum", erzählt von Guillermo del Toro:
Die zweite schwächere Episode läßt sich ähnlich wie
"The Tell-Tale Heart" einordnen: Optisch recht eindrucksvoll – ein bißchen
an eine bereits etwas veraltete Computerspielgrafik erinnernd –,
inhaltlich nicht makellos. So ist die (für Poes Verhältnisse sehr realitätsnah
geschilderte) Story eines Gefangenen der spanischen Inquisition sehr langatmig
erzählt (okay, das ist ein Gegensatz zu "The Tell-Tale Heart");
außerdem hatte ich ehrlich gesagt auch Mühe, del Toros schweren mexikanischen
Akzent zu verstehen, was gerade bei einer Poe-Adaption natürlich ziemlich verhängnisvoll ist ... Insofern ist meine Wertung auch nicht ganz zu
verallgemeinern; wer del Toro gut versteht (oder die Möglichkeit hat, Untertitel zuzuschalten), dem wird
"The Pit and the Pendulum" vermutlich besser gefallen als mir. 6 Punkte.
"The
Masque of the Red Death", ohne Erzähler:
So ungewöhnlich die Idee ist, eine Poe-Geschichte fast
wortlos zu erzählen (nur der Gastgeber des verschwenderischen Balls, der den
Schauplatz der Erzählung bildet, Prospero, sagt einen Satz, der von B-Movie-Regieikone
Roger Corman vorgetragen wird, der 1964 mit "Satanas – Das Schloß der
blutigen Bestie" die berühmteste Version der Story inszenierte), sie
funktioniert dank der eindrucksvollen aquarellartigen Grafik im expressionistischen
Stil sowie de la Puentes schwelgerischer, an Basil Poledouris' grandiosen "Conan der
Barbar"-Score erinnernden Musik ganz wunderbar. Auch ohne große Worte entwickelt
"The Masque of the Red Death" einen ungeahnten Sog, der den Zuschauer
mitten hineinzieht in das morbide Geschehen auf dem unheilschwangeren Ball und dem Kern der Vorlage absolut gerecht wird.
Fabelhaft! 10 Punkte.
Fazit: "Extraordinary Tales" ist eine
faszinierende Ansammlung von fünf stilistisch komplett unterschiedlich
animierten Kurzfilmen, die großteils gekonnt die legendäre düster-romantische
Atmosphäre der Vorlagen von Edgar Allen Poe einfängt – was auch den prominenten
Erzählern und der hervorragenden Musik zu verdanken ist.
Wertung: 9 Punkte.
"Extraordinary Tales" tourt seit Anfang 2015 über diverse internationale Filmfestivals. Daß es einen regulären deutschen Kinostart gibt, halte ich für eher unwahrscheinlich, eine Heimkino-Veröffentlichung dürfte es aber sicher geben. Ein Datum dafür existiert leider noch nicht.
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