Regie: Rob Marshall, Drehbuch: James Lapine, Songs: Stephen
Sondheim
Darsteller:
Emily Blunt, James Corden, Anna Kendrick, Meryl Streep, Lilla Crawford, Daniel
Huttlestone, Chris Pine, Tracey Ullman, Johnny Depp, Mackenzie Mauzy, Billy
Magnussen, Christine Baranski, Lucy Punch, Tammy Blanchard, Annette Crosbie,
Frances de la Tour
FSK: 6, Dauer: 125 Minuten.
Eigentlich leben der Bäcker (James Corden, "One
Chance") und seine schöne Frau (Emily Blunt, "Edge of Tomorrow")
ein sehr zufriedenes Leben am Rande des Zauberwalds, nur eines fehlt ihnen zu
ihrem Glück: ein Kind. Eines Tages erfahren sie, warum es einfach nicht
klappen will: Ihre Nachbarin, die böse Hexe (Meryl Streep,
"Glaubensfrage"), hat den Vater des Bäckers und all seine männlichen
Nachfahren verflucht, nachdem der ihr einige Zauberbohnen stahl und sie damit
(unwissentlich) ihrer Jugend und Schönheit beraubte. Damit die Hexe den Fluch
wieder aufhebt, soll ihr der Bäcker innerhalb der nächsten zwei Tage vier Dinge
bringen: eine schneeweiße Kuh, einen blutroten Umhang, maisgelbes Haar und
Schuhe aus Gold. Da trifft es sich gut, daß sich im Zauberwald auch
Cinderella (Anna Kendrick, "The Voices"), Rapunzel
(MacKenzie Mauzy) und Rotkäppchen (Lilla Crawford)
aufhalten sowie der junge Hans (Daniel Huttlestone, "Les Misérables"),
der die alte, weiße Kuh seiner Mutter verkaufen soll …
Kritik:
Es kann kein Zweifel bestehen: Märchen sind seit einigen
Jahren einfach wieder richtig "in" – und das in den verschiedensten
Spielformen: klassisch ("Cinderella"), actionreich ("Snow White and the Huntsmen"), albern ("7 Zwerge", "Spieglein Spieglein"), sehr frei, aber phantasievoll neuinterpretiert ("Die Eiskönigin"), gruselig ("Snow White: A Tale of Terror",
"Hänsel & Gretel – Hexenjäger"). "Into the Woods"
erzählt im Grunde genommen eine recht klassische Version einiger Grimm'scher
Märchen und reichert sie mit parodistischen Elementen an. Am Broadway
funktioniert das schwarzhumorige Musical von Stephen Sondheim ("Sweeney Todd") bereits seit Jahrzehnten ausgezeichnet, nun gibt es die stargespickte
Verfilmung vom genreerfahrenen Regisseur Rob Marshall, der bereits
"Chicago" zum OSCAR für den besten Film des Jahres 2002 führte. Die
Kritiken der Filmversion sind allerdings eher gemischt ausgefallen
(wenngleich insgesamt leicht auf der positiven Seite), und ich muß leider
sagen, daß ich mich zu jenen zähle, die nur mäßig begeistert sind.
Zum Teil liegt das sicherlich daran, daß ich offenbar generell
nicht übermäßig viel mit den unkonventionellen Kompositionen Sondheims anfangen
kann, schließlich war ich schon von der Kinoadaption seines wohl berühmtesten
Musicals "Sweeney Todd" eher enttäuscht. "Into the Woods"
hat zwar ein paar Songs zu bieten, die mir gut gefallen, an meine
Genrefavoriten wie "Les Misérables", "Moulin Rouge",
"Cabaret", "Fiddler on the Roof" oder
"Chicago" reichen sie insgesamt aber bei weitem nicht heran. Nun ist
es wirklich nicht so, daß ich zu Hause nur Mainstream-Pop hören würde – aber
Sondheims Lieder sind mir oft doch etwas zu … speziell. Ein ebenso gewichtiges
Problem ist, daß die Handlung meine Erwartungen nicht erfüllen kann. Für eine
parodistische Abwandlung der altbekannten Märchen gibt es für meinen Geschmack
einfach zu wenig Humor; natürlich sind ein paar schöne Szenen enthalten, etwa
das herrliche Duett "Agony", in dem Prince Charming (Chris Pine,
"Star Trek Into Darkness") und sein in Rapunzel verliebter Bruder (Billy Magnussen) sich gegenseitig mit der Monumentalität ihres Liebesleids
zu übertrumpfen suchen; aber im Großen und Ganzen kommt mir "Into the
Woods" zu zahm daher.
Zumindest gilt das für die erste Hälfte, die zusätzlich
darunter leidet, daß ganze vier Märchen (Aschenputtel, Rotkäppchen, Hans und
die Bohnenranke sowie Rapunzel) in gerade einmal etwa 45 Minuten hineingestopft
werden, wodurch zwangsläufig viel Charme der Geschichten verlorengeht; auch wenn Johnny Depps ("Lone Ranger") Gastauftritt als pädophil
veranlagter böser Wolf schon seinen Reiz hat. Erst in der zweiten Hälfte
emanzipiert sich "Into the Woods" von den Märchenvorlagen, indem es
zeigt oder zumindest andeutet, was nach dem "… und dann lebten sie
glücklich bis ans Ende ihrer Tage" tatsächlich passiert und zudem noch die Rachebestrebungen einer über eine Zauberbohnenranke herabgestiegenen
Riesin (Frances de la Tour, "Hugo Cabret") ins Spiel bringt. In
dieser Phase wird die Story vorübergehend ziemlich interessant; allerdings auch
nicht mehr, da das erzählerische Potential dieses Kniffes nicht ansatzweise
ausgereizt wird und außerdem einige der zahlreichen Songs unnötig das Tempo herausnehmen,
sobald es gerade einmal halbwegs spannend wird. Für ein Musical ist das
eigentlich der Todesstoß, wenn man ausgerechnet die Lieder als störend
empfindet …
Aber zum Glück gibt es ja noch Meryl Streep. Die erhielt für
ihre Darstellung der bösen Hexe ihre bereits 19. OSCAR-Nominierung, die wie so oft vollkommen gerechtfertigt ist. Obwohl die Hexe eher eine Nebenfigur
ist und gar nicht so viele Auftritte in den zwei Stunden hat, ist jede einzelne
Szene mit ihr ein Highlight. In Streeps Interpretation ist die Hexe nicht
wirklich böse, sondern eher eine aufbrausende
Frau, die mächtig einen an der Waffel hat. In Verbindung mit ihrem stets
unerwarteten Auftauchen quasi aus dem Nichts macht diese Figur einfach richtig,
richtig viel Spaß – gerade im Vergleich zu den eher zahmen übrigen Charakteren.
Und auch Streeps Liedvortrag weiß zu überzeugen. Sie hat ohnehin das Glück, daß
sie den besten Song des Musicals vortragen darf ("The Last Midnight")
– und obwohl ihr Gesangstalent nicht an das einiger ihrer Leinwandpartner
heranreicht, macht sie diese leichten Defizite durch einen umso leidenschaftlicheren Vortrag mehr als wett. Kurzum: Meryl Streep ist – wieder
einmal – eine Wucht! Für die gesangstechnischen Highlights sorgen derweil vor
allem Anna Kendrick und James Corden. Das kommt nicht überraschend, schließlich
stahl Kendrick schon als 12-jährige am Broadway ihren Mitstreitern die Show,
während der Brite Corden als Darsteller des "Britain's Got
Talent"-Opernsängers Paul Potts in "One Chance" internationale Bekanntheit erlangte.
Schauspielerisch ist "Into the Woods" derweil insgesamt nicht allzu
anspruchsvoll, aber das große Ensemble hinterläßt einen harmonischen Eindruck,
die beiden Hauptdarsteller Corden und Emily Blunt kommen sympathisch
rüber und Lilla Crawford ist als vorlautes Rotkäppchen in ihrem Kinodebüt eine
echte Entdeckung.
Abschließend möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, daß
ich diesen Film trotz seiner FSK6-Freigabe Kindern unter 10 Jahren nur
sehr bedingt empfehlen würde. Denn abgesehen davon, daß (wie ich in der
Vorstellung, die ich besucht habe, aus erster Hand erfahren durfte) kleine
Kinder wohl generell nicht allzu empfänglich sind für ein Musical mit
englischen Songs und deutschen Untertiteln, behält "Into the Woods"
einige der beträchtlichen Grausamkeiten aus den ursprünglichen Märchen-Fassungen bei. Wenn
beispielsweise Cinderellas Stiefmutter (Christine Baranski aus der TV-Serie "Good Wife") wirklich alles versucht, um die Füße
ihrer leiblichen Töchter in den vom Prinzen gebrachten Schuh zu zwängen, dann
wird das zwar natürlich nicht direkt auf der Leinwand gezeigt, ist aber im Kern
dennoch ziemlich heftig. Und den (wenngleich ebenfalls nur angedeutet)
pädophilen Wolf hatte ich ja bereits erwähnt …
Fazit: "Into the Woods" ist eine ziemlich
schräge Musical-Adaption, die aus der durchaus spannenden Prämisse des
parodistischen Märchen-Mixes inhaltlich viel zu wenig herausholt und mit seinen
anspruchsvoll aufgebauten, aber nicht übermäßig massentauglichen Songs das
Publikum polarisieren dürfte – immerhin sorgt die gute Besetzung rund um eine
überragende Meryl Streep für gelegentliche Highlights.
Wertung: 5 Punkte.
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