Montag, 3. Februar 2014

Nachruf: Philip Seymour Hoffman (1967-2014)

Nachrufe zu verfassen ist wahrlich nicht die angenehmste Aufgabe eines Schreiberlings. Es ist ja in meinem speziellen Fall als Filmblogger schon schlimm genug, wenn dies bei Legenden wie zuletzt Maximilian Schell oder Peter O'Toole geschieht; aber die waren wenigstens alte Männer, als sie starben, Männer, die ein reichhaltiges und aufregendes Leben gelebt haben und jenseits der 80 Jahre starben. Noch viel aufwühlender ist es jedoch, wenn jemand stirbt, der sprichwörtlich in der Blüte seines Lebens stand und das Publikum noch jahrzehntelang mit großartigen Leistungen hätte verwöhnen können; jemand, der mehr oder weniger zur gleichen Generation zählt wie ich selbst und der mein Leben als Filmfan lange und beständig begleitet hat. Jemand wie Philip Seymour Hoffman.


Philip Seymour Hoffman war seit etwa zehn Jahren einer meiner Lieblingsschauspieler. Der vor 46 Jahren in einem Vorort von New York geborene Hoffman war mit seinen strohblonden Haaren und seinem Hang zu leichtem bis mittlerem Übergewicht bestimmt niemand, dem man auf den ersten Blick den Hollywood-Star ansah. Alleine, daß sich jemand mit seinem unglamourösen (wenn auch zweifellos einprägsamen) Äußeren und seiner Statur zu einem der anerkanntesten Akteure nicht nur der US-Filmindustrie emporarbeiten konnte, beweist, wie verdammt gut er gewesen sein muß. Und nach oben gearbeitet hat sich Philip Seymour Hoffman wirklich. Er ist den steinigen Weg derjenigen gegangen, die "nur" ihr Talent einsetzen können und deshalb mit unzähligen Nebenrollen einen Fuß in die Tür bekommen müssen. Viele dieser Nebenrollen waren kaum bemerkenswert, doch hinterließ Hoffman schon bald auch in kleinen Rollen in guten Filmen wie "Der Duft der Frauen", "Nobody's Fool", "Twister" oder "Der talentierte Mr. Ripley" Eindruck. Vielleicht nicht unbedingt bei den Zuschauern, die sich wahrscheinlich weder sein Gesicht noch seinen Namen dauerhaft merken konnten; aber dafür umso mehr bei den Filmemachern – vor allem bei jenen Filmemachern, die ihre Berufung abseits des Mainstreams sehen und deshalb kantige Schauspieler wie diesen Philip Seymour Hoffman gut gebrauchen konnten. Paul Thomas Anderson etwa besetzte ihn zuerst in "Boogie Nights", seiner gefeierten Satire über die Pornobranche, dann in dem Episodenfilm "Magnolia" und der Tragikomödie "Punch-Drunk Love" sowie 2012 (endlich in einer Hauptrolle) in "The Master". Joel und Ethan Coen konnten ihn gut für ihren späteren Kultfilm "The Big Lebowski" brauchen, Cameron Crowe in seinem nostalgischen Musikfilm "Almost Famous" und Spike Lee in seiner melancholischen Post-9/11-New York-Ballade "25 Stunden".

Ich habe alle diese Filme gesehen, viele gemocht, manche (namentlich "The Big Lebowski" und "25 Stunden") sogar geliebt – doch so richtig nachdrücklich in mein Gedächtnis eingebrannt haben sich der Name und der Schauspieler Philip Seymour Hoffman, soweit ich mich erinnern kann, erst mit Brett Ratners blutigem Thriller "Roter Drache". Auch hierin spielt er nur eine Nebenrolle, allerdings eine höchst einprägsame als schmieriger Boulevard-Journalist Freddie Lounds, dem in dem "Das Schweigen der Lämmer"-Prequel ein grausiges Schicksal bevorsteht (sorry für den Spoiler, aber das ist eigentlich früh im Film absehbar). Thomas Harris, Autor der Romanvorlage, beschrieb Freddy Lounds als pummelig, häßlich und klein, mit vorstehenden Zähnen und Rattenaugen: eine Paraderolle für Philip Seymour Hoffman. Nicht, daß ich ihn als häßlich bezeichnen würde, auch klein war er mit seinen 1,77m nicht wirklich – aber Hoffman hatte eben die Art von Gesicht, die die Makeup-Abteilung relativ problemlos "verunstalten" konnte.

Ab "Roter Drache" verfolgte ich Hoffmans Karriere umso genauer und wurde drei Jahre später Zeuge seines großen Durchbruchs. Und der fand tatsächlich in einer Hauptrolle statt. Natürlich in einem Arthouse-Film, aber trotzdem: Seine Rolle als Schriftsteller Truman Capote in Bennett Millers "Capote" bescherte ihm den OSCAR als Bester Hauptdarsteller des Jahres 2005. Eine verdiente Ehrung, verinnerlichte Hoffman die Rolle des exzentrischen Intellektuellen doch dermaßen, daß man beinahe vergaß, keine Dokumentation anzuschauen. In der Folge wurden seine Rollen größer, doch abgesehen von J.J. Abrams' "Mission: Impossible III", in dem er als Bösewicht Tom Cruise das Leben schwer machen durfte, und Mike Nichols' Politsatire "Der Krieg des Charlie Wilson" (für den er seine zweite OSCAR-Nominierung erhielt, dieses Mal als Nebendarsteller) blieb Hoffman nun, wo er bei seiner Rollenwahl zunehmend wählerisch werden konnte, meist dem Independent-Kino treu. Mit durchschlagendem Erfolg: Er berührte in Tamara Jenkins' Familiendrama "Die Geschwister Savage" die Herzen der Zuschauer, er faszinierte als auf die schiefe Bahn geratender, drogenabhängiger Bürofuzzi in Altmeister Sidney Lumets an eine altgriechische Tragödie gemahnendem Thriller "Tödliche Entscheidung" (in dem sein sehr selbstbewußt der Kamera präsentiertes nacktes Hinterteil nicht wenigen Zuschauern einen mittelschweren ästhetischen Schock verpaßte ...) und er begeisterte als sympathischer 1960er Jahre-Rock-DJ in Richard Curtis' sträflich unterschätzter Komödie "Radio Rock Revolution". Und nebenbei feierte er auch als Theaterschauspieler am Broadway Erfolge.

Im Jahr 2008 folgte die dritte OSCAR-Nominierung. Ungerechterweise gewann er nicht, denn für mich ist seine einfühlsame und unfaßbar nuancierte Darstellung eines sanftmütigen, aber des sexuellen Mißbrauchs verdächtigten Priesters in der sperrigen, intelligenten Theaterverfilmung "Glaubensfrage" die stärkste Leistung, die Philip Seymour Hoffman je geboten hat. Ja, stärker noch als selbst in "Capote". Allein die Rededuelle mit seiner (natürlich ebenfalls nominierten) Film-Antagonistin Meryl Streep sind ein wahres Fest der Schauspielkunst. Zwei Jahre darauf gab Hoffman sein Regiedebüt mit der leisen Tragikomödie "Jack in Love", die bei den Kritikern wohlwollend aufgenommen wurde, vom Publikum jedoch größtenteils ignoriert wurde. Es sollte seine einzige Film-Regiearbeit bleiben, aber sehr wahrscheinlich hätte er die Klasse seiner Schauspielkunst hinter der Kamera sowieso nie erreicht, die er als prägnanter Nebendarsteller in "The Ides of March" und "Moneyball" ebenso weiterhin präsentierte wie im bereits erwähnten Sektendrama "The Master", das ihm seine vierte und letzte OSCAR-Nominierung einbrachte. Zumindest war es voraussichtlich seine letzte, denn einige Filme des vielbeschäftigten Stars werden erst noch in die Kinos kommen. Dazu wird der dritte Teil der "Tribute von Panem"-Reihe zählen, zu der er im zweiten Teil mit dem Untertitel "Catching Fire" stieß: "Mockingjay, Part 1" ist bereits abgedreht, ob seine Szenen für den Abschluß "Mockingjay, Part 2" fertig sind, ist noch nicht bekannt. Auch Anton Corbijns John Le Carré-Adaption "A Most Wanted Man" steht noch an (deutscher Kinostart ist am 11. September), in der er neben Daniel Brühl und Nina Hoss einen deutschen Geheimagenten spielt. Hoffman hinterläßt der Filmwelt ein Erbe von über 50 Filmen, in denen seine großartige Schauspielkunst zu bewundern ist. Es sind viel zu wenige.

Philip Seymour Hoffman wurde am 2. Februar 2014 in Greenwich, New York von der Polizei tot in seiner Wohnung aufgefunden. Seine Todesursache ist offiziell noch nicht bekannt, doch nach US-Medienberichten starb er wohl wie so (erschreckend) viele Künstler an einer Überdosis an Drogen.

R.I.P., Philip Seymour Hoffman.

1 Kommentar:

  1. Seit einer der besten Szenen in Big Lebowski bin ich ein großer von PSH:

    http://www.youtube.com/watch?v=R33IEQjI1l8

    Das leise Schluchzen da fand ich schon immer zum Schießen. Und seitdem hat er mich eigentlich in keinem Film enttäuscht - erst zuletzt hat er in The Master wirklich mehr als begeistert. Wirklich sehr schade, daß er so früh abgetreten ist. Sehr, sehr schade.

    - elgi.

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