Freitag, 31. Januar 2014

47 RONIN (3D, 2013)

Regie: Carl Rinsch, Drehbuch: Chris Morgan und Hossein Amini, Musik: Ilan Eshkeri
Darsteller: Keanu Reeves, Hiroyuki Sanada, Tadanobu Asano, Rinko Kikuchi, Kō Shibasaki, Cary-Hiroyuki Tagawa, Min Tanaka, Jin Akanishi, Takato Yonemoto, Masayoshi Haneda, Togo Igawa, Hiroshi Sogabe, Yorick van Wageningen, Clyde Kusatsu, Neil Fingleton, Rick Genest
 47 Ronin
(2013) on IMDb Rotten Tomatoes: 16% (4,2); weltweites Einspielergebnis: $151,8 Mio.
FSK: 12, Dauer: 119 Minuten.

Japan um das Jahr 1700 herum: Auf der Reise durch einen Wald finden der gutmütige Fürst Asano (Min Tanaka, "Samurai der Dämmerung") und seine Männer einen völlig erschöpften und verwundeten Halbblut-Jungen. Da dieser eine ungewöhnliche Zeichnung auf dem Kopf hat, halten ihn seine Samurai für einen der Dämonen, die der Legende zufolge im Wald leben, und wollen das Kind deshalb auf der Stelle töten; doch Asano verbietet das und nimmt den Jungen namens Kai mit in sein Fürstentum Akō. Obwohl er fortan von fast allen außer dem Fürsten und dessen Tochter Mika (Kō Shibasaki, "The Call") wie ein rohes Ei behandelt wird, wächst Kai (Keanu Reeves, "Matrix") zu einem talentierten und sehr loyalen Krieger heran, der Fürst Asanos Samurai als Kundschafter dient. Doch dann fällt Asano während des Besuchs des Shogun (Cary-Hiroyuki Tagawa, "Die Geisha") einer Intrige des benachbarten Fürsten Kira (Tadanobu Asano, "Der Mongole") zum Opfer, der Akō seinem Herrschaftsgebiet einverleiben will. Sein Plan gelingt dank der tatkräftigen Hilfe der Hexe Mizuki (Rinko Kikuchi, "Pacific Rim"), Asanos Männer werden daraufhin, da sie ihren Fürsten nicht beschützen konnten, zu Ronin: herrenlosen, ausgestoßenen Samurai. Doch Asanos oberster Ratgeber Ōishi (Hiroyuki Sanada, "Wolverine – Weg des Kriegers") will den Tod seines Herrn nicht ungesühnt lassen und sinnt entgegen des ausdrücklichen Verbots des Shogun auf Rache – und Kais Fähigkeiten wie auch seine mysteriöse Herkunft sind der Schlüssel zu deren Gelingen ...

Kritik:
Ein Budget von 175 Millionen US-Dollar. Ein unbekannter und spielfilmunerfahrener Regisseur aus der Werbebranche. Eine Fantasyversion einer japanischen Legende. Ein Cast, der fast ausschließlich aus japanischen beziehungsweise japanischstämmigen Schauspielern besteht – zuzüglich eines Keanu Reeves als Identifikationsfigur für das westliche Publikum, der aber selbst seit Jahren keinen Hit mehr zu verzeichnen hatte. Wie "47 Ronin" jemals grünes Licht in Hollywood erhalten konnte, wird wohl auf ewig zu den ungelösten Mysterien der Traumfabrik gehören. Und dann lief auch fast alles so, wie man es als außenstehender Beobachter fast befürchten mußte: Die Dreharbeiten (die bereits im Frühjahr 2011 begannen!) verzögerten sich, die Veröffentlichung wurde immer weiter hinausgeschoben, im Spätsommer 2012 gab es sogar noch einmal einen Nachdreh – und es dauerte immer noch gut ein Jahr, bis "47 Ronin" Ende 2013 endlich das Licht der globalen Kinos erblickte. Wo der Film empfangen wurde von miesen Kritiken und zumindest in den USA geballtem Desinteresse der Zuschauer. Anders als beim dann doch noch überraschend zum Hit avancierten Zombiefilm "World War Z" im gleichen Jahr bewahrheiteten sich also die Unkenrufe – zumindest großteils, denn da Rinschs Samurai-Epos in Europa und Südamerika ziemlich gut läuft, könnte es am Ende wenigstens noch die Produktionskosten wieder hereinspielen. Das wäre natürlich immer noch weit entfernt von einem soliden Ergebnis (es heißt, daß ein Film das Doppelte seines Budgets einspielen muß, um für das produzierende Studio ein Plus zu erwirtschaften), aber im Zusammenspiel mit den zu erwartenden Einnahmen aus der Heimkino-Auswertung zumindest noch eine halbwegs erträgliche Abschreibung für die Universal Studios. Dabei – und das ist wohl fast das erstaunlichste an diesem Projekt – ist der fertige Film gar nicht so schlecht geworden. Weit entfernt zwar von einem Meisterwerk, auch kein wirklich guter Film ... aber doch zumindest sehr solide Fantasy-Unterhaltung für Zuschauer mit einem Faible für asiatische Themen.

Früh im Film wird allerdings klar, daß er selbstverständlich nicht nur diese ansprechen soll – das wäre dann doch eine zu kleine Zielgruppe –, weshalb zunächst einige japanische Begriffe und Eigenheiten innerhalb der Dialoge erläutert werden. Das ist, ebenso wie die Verpflichtung eines Hollywood-Stars neben den außerhalb ihrer Heimat nur wenig zugkräftigen japanischen Darstellern, ein legitimes Vorgehen, schließlich kann man nicht voraussetzen, daß etwa jeder Amerikaner oder Europäer etwas mit dem Begriff "Seppuku" (ritueller Selbstmord, außerhalb Japans eher als "Harakiri" bekannt) anfangen kann. Die Umsetzung ist allerdings nicht ideal, denn es ist einfach zu offensichtlich, daß die entsprechenden Dialoge ausschließlich diesem erklärenden Ziel dienen. So etwas kann man deutlich subtiler und flüssiger in die Handlung einbetten, das haben zahllose Filme vorgemacht. Bei "47 Ronin" wirkt es sehr plakativ, was generell von einem Großteil der qualitativ wechselnden Inszenierung behauptet werden kann.

Wenn man die einzelnen Sequenzen betrachtet, dann kann man Regisseur Rinsch nämlich eigentlich nicht viel vorwerfen. Die meisten davon sind sorgfältig gestaltet, die Actionszenen überzeugend choreographiert, der elegante, beinahe mystische Look der oft nachts oder in dichtem Nebel stattfindenden und von Ilan Eshkeris ("Centurion") atmosphärischem Soundtrack untermalten Geschehnisse ist schön anzuschauen (was bei einem aus der Werbewirtschaft stammdenden Regisseur wenig verwunderlich ist). Woran es jedoch deutlich mangelt, ist die Feinabstimmung. Die Szenenübergänge sind oft arg abrupt, einzelne Storyschlenker wirken innerhalb des Gesamtfilms wie Fremdkörper, so schön sie für sich genommen auch umgesetzt sein mögen. Zudem fällt immer wieder auf, daß die Qualität der Leistungen vor allem der Nebendarsteller sehr wechselhaft ist, was für eine nicht allzu gekonnte Schauspielerführung des Regisseurs spricht – angesichts dessen mangelnder Erfahrung verständlich, aber dennoch ärgerlich. All das führt dann eben dazu, daß "47 Ronin" nur selten richtig rund wirkt, sondern eher wie eine mehr oder weniger lose Aneinanderreihung einzelner Sequenzen.

Die Handlung selbst ist eigentlich recht gelungen. Die japanische Legende (die man u.a. bei Wikipedia nachlesen kann) wird in ihren Grundzügen beibehalten und durch Fantasyelemente wie die Hexe Mizuki und einige monströse Kreaturen angereichert – das funktioniert recht gut und erinnert immer wieder an den Disney-Blockbuster "Fluch der Karibik". Auch stilistische und inhaltliche Anleihen an Akira Kurosawas Genreklassiker "Die sieben Samurai" sind nicht zu übersehen, was dem Film allerdings eher schadet als nutzt – denn wenn man so deutlich an Kurosawas Meisterwerk erinnert wird, dann fallen die erzählerischen Schwächen von "47 Ronin" im direkten Vergleich nur umso eklatanter aus. Natürlich beschränkt sich das Drehbuch von Chris Morgan (Teil 3, 5 und 6 der "Fast & Furious"-Reihe) und Hossein Amini ("Drive") darauf, von den 47 Ronin nur wenige näher zu definieren; eigentlich werden sogar nur Kai und Ōishi so richtig mit Leben erfüllt, dazu kommt eine Handvoll überdurchschnittlich prägnanter Figuren, die zumindest etwas aus der Masse der 47 Ronin hervorstechen. Trotzdem gelingt nicht einmal ansatzweise eine so präzise und denkwürdige Figurenzeichnung wie bei "Die sieben Samurai" – gut, Kurosawa konnte sich dafür dreieinhalb Stunden Zeit nehmen, während Rinsch lediglich knapp 120 Minuten zur Verfügung hat; dennoch sind die austauschbaren Charaktere von "47 Ronin" ziemlich enttäuschend. Und ob es eine gute Idee war, inmitten dieser japanischen Handlung Keanu Reeves zum eindeutigen Hauptdarsteller zu machen, darüber kann man sicher trefflich streiten. Meiner Ansicht nach wäre es angebrachter gewesen, seine Rolle im Vergleich zu den wichtigsten japanischen Ronin "nur" gleichwertig anzulegen, zumal Kais Entwicklung vom nur geduldeten Außenseiter zum respektierten Kampfkameraden sowieso allzu formelhaft vollzogen wird.

Schauspielerisch kann man anhand dessen keine Höhenflüge erwarten, die Hauptdarsteller Reeves und Sanada zeigen jedoch eine routinierte Leistung. Auch Kō Shibasaki als Kais große Liebe Mika und Tadanobu Asano als flegelhafter, machtgieriger Fürst Kira machen ihre Sache gut, werden allerdings deutlich von Rinko Kikuchi überstrahlt, deren boshafte Hexe Mizuki – eine Figur, die im ersten Drehbuch-Entwurf gar nicht existierte – mit ihrem dämonischen Charisma (und den dank Computereffekten ein gruseliges Medusa-Eigenleben annehmenden Haaren) von allen "47 Ronin"-Charakteren den mit Abstand stärksten Eindruck macht. Weshalb es umso bedauernswerter ist, daß sie nur in relativ wenigen Szenen zu sehen ist. Und wenn wir schon bei Spezialeffekten sind: Ich würde zwar nicht unbedingt behaupten wollen, daß man Rinschs Film die $175 Mio. Produktionskosten ansieht, denn dafür wird im Vergleich zu ähnlich teuren Filmen zu wenig Spektakuläres geboten; aber das heißt noch lange nicht, daß die Spezialeffekte nicht überzeugend wären. Speziell das Kreaturendesign ist vielmehr sogar sehr gelungen, was sich gleich zu Beginn in einer sechsäugigen Bestie manifestiert, die direkt einem Ghibli-Film von Hayao Miyazaki ("Chihiros Reise ins Zauberland") entsprungen sein könnte – vor allem aber in einem wunderschönen Drachen im Showdown. Keinem gewaltigen, schwerfälligen Fabelwesen á la Smaug im zweiten Teil von "Der Hobbit", wohlgemerkt, sondern einem eleganten, dynamischen asiatischen Drachen.

Es ist also offensichtlich, daß "47 Ronin" ein Film mit vielen Schwächen, aber auch einigen Stärken ist. Wer mit der richtigen Erwartungshaltung an ihn herangeht, der bekommt solide, optisch sehr schöne Fantasy-Unterhaltung in ordentlichem 3D geboten, und das ist doch gar nicht mal so wenig. Lobenswert ist zudem, daß das Ende der ursprünglichen japanischen Geschichte nicht für westliche Sehgewohnheiten verfälscht wird (wie ich es ehrlich gesagt bis zur letzten Minute befürchtet hatte), sondern nahezu unverändert beibehalten wird.

Abschließend muß ich noch kurz auf einen ziemlich dreisten Etikettenschwindel hinweisen, denn wer sich anhand des Hauptplakats zum Film auf den eindrucksvollen gesichtstättowierten Kerl mit der Pistole über der Schulter freut, der am zweitgrößten nach Keanu Reeves (und damit größer als Rinko Kikuchi und der von Neil Fingleton verkörperte maskierte "Lovecraftian Samurai", die das Poster komplettieren) dargestellt wird, der wird sich ganz schön wundern. Es handelt sich dabei um den Kanadier Rick Genest alias "Zombie Boy" (spielte u.a. in dem Lady Gaga-Musikvideo zu "Born this way" mit), der im Film genau einen Satz zu sagen hat und nur wenige Sekunden im Bild ist ...

Fazit: "47 Ronin" mag in kommerzieller Hinsicht ein großer Flop sein, als Hollywood-Fantasy-Version einer japanischen Legende ist er trotz mancher inszenatorischer und dramaturgischer Schwäche recht unterhaltsam, was vor allem der gelungenen Bildsprache (samt sehenswerter Kreaturen), der mystisch-melancholischen Atmosphäre und den ordentlich choreographierten Actionsequenzen geschuldet ist.

Wertung: 6,5 Punkte.


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