Freitag, 19. April 2013

THERE WILL BE BLOOD (2007)

Regie und Drehbuch: Paul Thomas Anderson, Musik: Jonny Greenwood
Darsteller: Daniel Day-Lewis, Paul Dano, Ciarán Hinds, Dillon Freasier, Russell Harvard, Kevin J. O'Connor, Paul F. Tompkins, Sydney McCallister, David Willis, Colleen Foy, Hans Howes, David Warshofsky
There Will Be Blood
(2007) on IMDb Rotten Tomatoes: 91% (8,5); weltweites Einspielergebnis: $76,2 Mio.
FSK: 12, Dauer: 158 Minuten.

USA, zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Daniel Plainview (Daniel Day-Lewis, "Lincoln") stößt bei einsamen Grabungen in einem Stollen auf eine Ölquelle der Beginn einer langen und erfolgreichen Karriere als "Ölmann", wie er selbst sich voller Stolz bezeichnet. Innerhalb weniger Jahre wird Daniel zu einem reichen Mann, der immer neues Land kauft und darauf Ölquellen erschließt. Durch einen Tip gerät er zu einer kleinen Ortschaft mitten im kargen Ödland, wo nicht einmal Getreide wächst. Doch dafür gibt es dicht unter dem Boden schier unermeßliche Ölvorräte. Daniel kauft den Einwohnern ihr Land ab und beschäftigt sie bei der Ölförderung. Neben der geschäftlichen Konkurrenz durch große Firmen hat er nur einen echten Gegenspieler: den jungen Eli Sunday (beeindruckend gespielt vom damaligen Newcomer Paul Dano, "Looper"), der sich zum Prediger und Wunderheiler berufen sieht und damit in der Ortschaft auf seine Weise ähnlich erfolgreich ist wie Daniel. Diesem, ein überzeugter Atheist, ist Eli ein Dorn im Auge – doch das gilt schon bald auch umgekehrt ...

Kritik:
Wer sich schon immer gewünscht hat, einmal die Gelegenheit zu bekommen, ein (neues) klassisches Hollywood-Epos wie aus der schwelgerischen "Goldenen Ära" der Filmfabrik auf der großen Kino-Leinwand betrachten zu können, der bekam im Jahr 2007 von Regisseur und Drehbuch-Autor Paul Thomas Anderson ("Magnolia", "Boogie Nights") die Gelegenheit dazu: "There Will Be Blood", extrem lose basierend auf dem Roman "Öl!" von Upton Sinclair, läßt sich ohne weiteres in eine Reihe mit Meisterwerken wie "Citizen Kane", "Jenseits von Eden" oder "Die Katze auf dem heißen Blechdach" stellen und wurde dafür mit (nur) zwei OSCARs belohnt – für die Kameraarbeit von Robert Elswit und für Hauptdarsteller Daniel Day-Lewis.

So viele Elemente von "There Will Be Blood" begeistern und faszinieren: etwa die sorgfältig ausgearbeiteten Charaktere; die bemerkenswerte, oft dissonante Musik von Radiohead-Gitarrist Jonny Greenwood, die eigentlich weniger Musik als vielmehr vertonte Stimmung und Gefühle ist; das meisterhafte Schauspiel von Daniel Day-Lewis natürlich; die virtuos arrangierten und gefilmten Bilder, die sich häufig selbstbewußt und völlig zurecht auf ihre eigene Aussagekraft verlassen und auf viele Worte verzichten (alleine der zehnminütige, wortlose Prolog, der, untermalt von Greenwoods Klanggewitter, zeigt, wie Daniel zu seinem Reichtum kam, und daß er sich diesen sehr wohl verdient hat, ist schlicht sensationell); die allgegenwärtige, aber selten aufdringliche Symbolik, die geradezu zum wiederholten Ansehen auffordert; die epische und dabei nur allzu menschliche Handlung von Macht und Maßlosigkeit, Liebe und Haß, Schuld und Sühne, Öl und Religion.

"There Will Be Blood" ist kein normaler Film und ganz bestimmt kein einfacher Film. Dafür entzieht er sich zu stark und zu konsequent den Kino-Konventionen des 21. Jahrhunderts. Welcher Hollywood-Film kann es sich sonst schon leisten, so stark auf Bilder und Taten zu vertrauen und dabei mitunter minutenlang komplett auf Gesprochenes zu verzichten? Welcher Regisseur traut sich schon, auf einen Soundtrack im traditionellen Sinn fast vollständig zu verzichten? Welches Hollywood-Epos kommt schon ohne eine echte Liebesgeschichte aus? Und dennoch geht es sehr wohl um Liebe in diesem Film, sie spielt sogar eine ganz gewichtige Rolle. Nur geht es hier nicht beziehungsweise nur ganz am Rande um die Liebe zwischen Mann und Frau, sondern stattdessen um die Liebe zwischen Vater und Sohn, ebenso um die Liebe zwischen Geschwistern; auch um die Liebe zur Macht und um die Liebe zu Gott.

Ein besonders wichtiger Baustein ist dabei Daniels Beziehung zu seinem Ziehsohn H.W. (Dillon Freasier, als Erwachsener: Russell Harvard). Diesem offenbart der aufbrausende, aber stets berechnende und allzu oft selbstgerechte Daniel einmal im Zorn, er hätte ihn überhaupt nur aufgenommen, damit bei seinen Geschäftsverhandlungen ein nettes Gesicht zugegen sei. Tatsächlich nutzt er das Kind ständig für seine Zwecke aus – nur dank ihm kann er die Leute überzeugen, daß er ein "Familienunternehmen" führe und alle seine Arbeiter großzügig in diese Familie aufnehme. Und doch ist es zweifelsohne echte väterliche Liebe, die Daniel für seinen Ziehsohn empfindet. Auch, wenn er das nur selten zeigen kann und als alleinerziehender Vater mitunter schlichtweg hoffnungslos überfordert ist. Wie im restlichen Film setzt Anderson auch bei dieser ungewöhnlichen und schwierigen Vater-Sohn-Beziehung nicht auf viele Worte, dennoch gelingt es ihm beinahe spielerisch, mit wenigen Einstellungen das ambivalente Verhältnis zwischen Daniel und H.W. darzustellen. Vorteilhaft ist dabei selbstverständlich, daß Day-Lewis seinen Part allein durch seine höchst effektiv eingesetzte Mimik perfekt zum Leben erweckt.

Ein zweiter wichtiger Baustein der Story ist das nicht weniger komplizierte Verhältnis zwischen Daniel und dem jungen Prediger Eli. Zwei Männer, die unterschiedlicher in ihrer Art und der Wahl ihrer Mittel kaum sein könnten – die sich aber doch so viel ähnlicher sind als alle echten Väter und Söhne im Film. Beide sind auf ihre Weise Kapitalisten. Beide richten ihr ganzes Streben auf Macht und Erfolg. Nur daß der eine dabei auf Öl setzt und der andere auf Religion. Auch die Wirtschaft, der Kapitalismus, spielt folglich eine Rolle in "There Will Be Blood", allerdings stehen die Figuren eindeutig im Vordergrund. Anderson zeichnet ein realistisches, objektives Bild, ihm geht es ganz offensichtlich nicht darum, die Taten seiner Protagonisten zu werten oder gar zu verurteilen. Etliche Kritiker bezeichneten "There Will Be Blood" zwar als kapitalismuskritischen Film, aber meiner Meinung nach haben die die eigentliche Intention Andersons (der übrigens in Interviews immer wieder betont hat, daß es ihm vor allem um eine authentische Darstellung aus dieser Frühzeit des Kapitalismus ging und er sich nicht zu weitergehenden Interpretationsversuchen äußern werde) nicht verstanden und sich vielmehr durch ihre eigene Sichtweise leiten lassen. Denn Anderson verheimlicht keineswegs, daß Daniel mit seiner Ölförderung großen Wohlstand für die ganze Region bringt, er zeigt Vor- und Nachteile dessen Handelns gewissenhaft auf. Doch gab es damals eben noch keine oder zumindest viel zu wenige Grenzen, die dem Kapitalismus gesetzt wurden. Denn der Mensch ist nun einmal gierig und wenn ihm keine Grenzen gesetzt werden, dann besteht immer die Gefahr, daß er viel zu weit geht. Daniel, der als Selfmademan stets von den großen Ölfirmen unter Druck gesetzt wird, weiß das ganz genau. Er weiß und gibt offen zu, daß er ein zorniger und neidischer Mann ist, der keinem anderen den Erfolg gönnt. Und schon gar nicht dem – wie er es sieht – Betrüger und Blender Eli Sunday, den er immer und immer wieder zu demütigen versucht.

Nein, Daniel Plainview ist definitiv kein Menschenfreund. Und dennoch oder gerade deshalb ist er mit all seinen Stärken und Schwächen so unglaublich menschlich und real. Und nur deshalb funktioniert es auch, daß er der merkwürdige Protagonist – nicht der Held, wohlgemerkt – dieser faszinierenden Geschichte ist. Als Zuschauer mag man ihn nicht unbedingt. Manch einer wird ihn sogar verabscheuen. Aber man kann ihn verstehen. Man kann sogar Mitgefühl mit ihm empfinden.

Bemerkenswert ist zu guter Letzt noch, daß Anderson bis auf Day-Lewis, den zuverlässigen Nebendarsteller Ciarán Hinds ("Die Frau in Schwarz") und ansatzweise noch Paul Dano (der kurz zuvor eine größere Nebenrolle in "Little Miss Sunshine" gespielt hatte) komplett auf damals bekannte Namen in seiner Besetzung verzichtet hat. Dennoch sind die darstellerischen Leistungen ohne Fehl und Tadel, offensichtlich wurde in das Casting ähnlich viel Zeit und Arbeit investiert wie in das vielschichtige Drehbuch und die eigentlichen Dreharbeiten.

Fazit: "There Will Be Blood" ist nicht einfach nur ein Film. "There Will Be Blood" ist ein monumentales Kino-Ereignis. Es ist ohne Zweifel keine leichte Aufgabe, aber wer sich auf ein 160-Minuten-Epos voller langer Einstellungen und mit wenigen Dialogen, dazu noch ohne Liebesgeschichte oder echte Sympathieträger einlassen kann und will, der wird belohnt werden: mit einem wuchtigen, an altgriechische Tragödien erinnernden Charakterdrama, mit prächtigen Bildkompositionen und überzeugender Atmosphäre, mit einer vieldeutigen, zum Nachdenken und Diskutieren anregenden Handlung und mit tollen Schauspielern.

Wertung: 10 Punkte.


2 Kommentare:

  1. Letzte Woche einmal wieder gesehen und ohne Zweifel ein Film von seltener Wucht! Allerdings haben dafür nicht alle ein Gespür..meine Freundin wollte mitschauen und ging nach 10 Minuten mit den Worten: So ein langweiliger Mist, da redet ja keiner!! Filmbanausen eben!!:-D

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    1. Hachja, wem sagst du das - heutzutage bringt man die meisten Leute ja nicht mal mehr dazu, einen Film anzuschauen, der vor 1980 gedreht wurde ... ;-)

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