Empfohlener Beitrag

In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Donnerstag, 13. Dezember 2018

WIDOWS - TÖDLICHE WITWEN (2018)

Regie: Steve McQueen, Drehbuch: Gillian Flynn und Steve McQueen, Musik: Hans Zimmer
Darsteller: Viola Davis, Elizabeth Debicki, Michelle Rodriguez, Cynthia Erivo, Liam Neeson, Colin Farrell, Brian Tyree Henry, Daniel Kaluuya, Lukas Haas, Robert Duvall, Garret Dillahunt, Carrie Coon, Kevin J. O'Connor, Jon Michael Hill, Jon Bernthal, Manuel Garcia-Rulfo, Coburn Goss, Michael Harney, Jacki Weaver, Molly Kunz, Adepero Oduye
Widows - Tödliche Witwen (2018) on IMDb Rotten Tomatoes: 91% (8,1); weltweites Einspielergebnis: $76,0 Mio.
FSK: 16, Dauer: 130 Minuten.

Als der gut vernetzte Kriminelle Harry Rawlin (Liam Neeson, "The Grey") und seine Komplizen nach einem Raubüberfall in Chicago von einer SWAT-Einheit getötet werden, ist seine Ehefrau Veronica (Viola Davis, "Fences") logischerweise untröstlich. Als wäre der höchst gewaltsame Tod ihrer großen Liebe nicht schon schlimm genug, erhält sie auch noch Besuch von dem Drogengangster Jamal Manning (Brian Tyree Henry, "Hotel Artemis"), der sich in den Stadtrat wählen lassen will und dessen dafür gedachtes Geld Harry gestohlen hat. Jamal gibt Veronica einen Monat, um ihr die $2 Mio. zurückzahlen, was für sie schlicht nicht machtbar ist. Doch dann erhält sie von ihrem und Harrys Fahrer Bash (Garret Dillahunt, "Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford") eine für den Fall seines Todes vorbereitete Nachricht, die Veronica zu einem Schließfach mit Harrys Notizbuch führt, in dem er all seine kriminellen Machenschaften haarklein aufgeschrieben hat – inklusive der Pläne für seinen nächsten Coup, den Überfall auf den Politiker (und Jamals Rivalen) Jack Mulligan (Colin Farrell, "Phantastische Tierwesen"). Und so überredet die verzweifelte Veronica Linda (Michelle Rodriguez, "Machete") und Alice (Elizabeth Debicki, "Der große Gatsby"), deren Männer zu Harrys ebenfalls getöteten Komplizen zählten, dazu, genau diesen Raub gemeinsam durchzuführen …

Kritik:
Nach dem OSCAR-prämierten Triumph mit dem Sklaverei-Drama "12 Years a Slave" ließ sich der britische Filmemacher Steve McQueen viel Zeit für seinen nächsten Kinofilm "Widows – Tödliche Witwen" – und der überrascht gleich in mehrfacher Hinsicht. So ist ein Thriller (wenn auch mit deutlichen gesellschaftskritischen Drama-Elementen) ein ganz neues Genre für den Mann, der sich bisher mit dem Biopic "Hunger", dem Sexsucht-Drama "Shame" und eben "12 Years a Slave" ganz dem charakterzentrierten Drama verschrieb – noch ungewöhnlicher ist es für ihn, daß es sich um ein Remake handelt, denn als Vorlage dient eine gleichnamige britische TV-Serie aus den 1980er Jahren. Aber wie es nicht anders zu erwarten war, macht sich Steve McQueen – mit der Bestseller-Autorin Gillian Flynn ("Gone Girl") als Co-Autorin – die Story zu eigen und paßt sie gekonnt und spannend an die heutigen Verhältnisse an. Zwar merkt man "Widows" die Serienherkunft mitunter an, so gibt es ungewöhnlich viele Handlungsstränge, die aus Zeitgründen teilweise recht rudimentär behandelt werden; doch die Verlegung der Handlung nicht nur in die USA, sondern ganz bewußt nach Chicago – mit seiner hohen Kriminalitätsrate dank massig Drogen- und Gangproblemen seit einigen Jahren Synonym für das Verbrechens- und Gewaltproblem der Vereinigten Staaten –, zuzüglich der Anreicherung mit einer starken politischen Komponente sorgt dafür, daß "Widows" bemerkenswert aktuell wirkt. Und obwohl McQueens Film mitunter etwas überambitioniert wirkt, fesselt er auch dank seines bis in die Nebenrollen hinein exzellent zusammengestellten Ensembles bis zum Schluß.

Wenig überraschend unterscheidet sich ein Steve McQueen-Thriller in mehrfacher Hinsicht von einem "normalen" Thriller. Neben etlichen ungewöhnlich kunstvollen Kameraeinstellungen und -fahrten (darunter eine Sequenz, in der die Kamera während einer Fahrt mit halb seitlicher Blickrichtung auf der Motorhaube des Autos montiert ist, sodaß wir die Diskussion im Auto hören, aber einzig Fahrer Jack Mulligan schemenhaft durch die Windschutzscheibe erkennen können und ansonsten die vorbeiziehende Umgebung sehen) bringt das vor allem eine andere Gewichtung der Action- und Spannungselemente mit sich. Zwar verzichtet McQueen nicht auf Action, doch abgesehen von der buchstäblich explosiven Eröffnungssequenz ist sie nicht auf Schauwerte ausgelegt oder sensationsheischend künstlich in die Länge gezogen, sondern wird kurz, dafür jedoch hart und realistisch gehalten. Wenn in "Widows" jemand erschossen wird, fühlt sich das nicht nach einer spaßigen Kino-Knallerei mit die Ereignisse mit trocken-flapsigen One-Linern kommentierenden Helden an, sondern wie ein wuchtiger Stoß in die Magengrube nach dem anderen – und Helden gibt es schon gar keine. Stattdessen lernen wir größtenteils ambivalente Figuren kennen und zwei oder drei richtig "böse". Am nächsten an Heldenstatus kommen erwartungsgemäß die drei charismatischen Protagonistinnen heran; immerhin haben sie ja selbst nichts verbrochen und sind nun geradezu zur Kriminalität gezwungen, um den großen Haufen Mist wegzuschaufeln, den ihre wenig vorbildlichen Ehegatten ihnen hinterlassen haben. Trotzdem werden sie auf diese Weise nun einmal selbst zu Kriminellen und offenbaren wenig Skrupel, sich darauf einzulassen – schließlich kennen sie die Welt des Verbrechens ja bereits durch ihre Männer, wenn auch bis dahin nur passiv. Zudem sind die drei Frauen, die sich vorher gar nicht kannten, keineswegs eine verschworene Gemeinschaft von Freundinnen, sondern eine bloße, durch die Notwendigkeit geschmiedete Zweckgemeinschaft, verbunden immerhin durch die gemeinsame Trauer um ihre Gatten (mit all ihren Fehlern). Daß die mehr als nur leicht herrische Veronica die Führung übernimmt, wird nicht angezweifelt, da sie das für den Coup entscheidende Notizbuch "geerbt" hat und am stärksten von der Sache überzeugt ist. Linda ist zwar eigentlich kaum weniger ein Alpha-Weibchen als Veronica, ordnet sich aber aus pragmatischen Gründen unter, während das recht naive und unerfahrene, jedoch durchaus erfindungsreiche Nesthäkchen Alice gerne den anderen das Sagen überläßt.

Eine spannende Konstellation, die McQueen seinem Publikum sorgfältig und mit gemäßigtem Erzähltempo nahebringt (später kommt mit der von "Bad Times at the El Royale"-Entdeckung Cynthia Erivo verkörperten Belle noch eine vierte Frau dazu). Die Figurenzeichnung mag dabei etwas skizzenhaft sein, ist für Genreverhältnisse aber erfreulich komplex und profitiert davon, daß das Trio von hervorragenden Schauspielerinnen verkörpert wird – vor allem Viola Davis weiß in der emotionalsten der drei Hauptrollen als Veronica wieder einmal zu glänzen, aber Elizabeth Debicki steht ihr als Alice kaum nach und auch Michelle Rodriguez macht ihre Sache als Linda gut. Erfreulicherweise sind die Antagonisten respektive wichtigsten Nebenfiguren ebenfalls gut ausgestaltet. Das Stadtrats-Duell zwischen dem aus einer Politikerdynastie stammenden Jack und seinem emporstrebenden Kontrahenten Jamal bleibt zwar mangels Zeit recht oberflächlich, zeichnet aber trotzdem ein interessantes Bild dieses politischen Wettstreits zwischen zwei Männern, die auf den ersten Blick unterschiedlicher kaum sein könnten, sich in ihren Methoden aber letztlich gar nicht sehr unterscheiden. Dabei sind beide keineswegs klischeehafte korrupt-egoistische Politiker – okay, beide sind korrupt und egoistisch, aber das ist eben nicht alles, was sie ausmacht. Jack ist durchaus idealistisch, er glaubt daran, daß er der Gemeinde helfen kann (auch wenn er sich nebenbei dabei bereichert) und will sich von seinem zynischen und rassistischen Vater (und Amtsvorgänger) Tom (Robert Duvall, "Jack Reacher") emanzipieren. Jamal wiederum will das Geld, das er mit seinen Drogengeschäften gemacht hat, nutzen, um die Kriminalität zu verlassen, solange er es noch kann – was man sicher nachvollziehen kann. Daß er und vor allem sein jüngerer Bruder Jatemme (Daniel Kaluuya, "Get Out") dabei wenig zimperlich vorgehen (wohingegen Jack als wahrer Politiker auf Beziehungen und Bestechungen setzt, um seine Ziele zu erreichen) und außerdem unserem Antiheldinnen-Trio stark zusetzen, macht sie zu den primären Antagonisten von "Widows".

Bedauerlich ist nur, daß angesichts des großen Ensembles und der Anhäufung von teilweise schön unvorhersehbar verlaufenden Handlungssträngen einige Figuren und Geschichten fast zwangsläufig zu kurz kommen, die in der Miniserie vermutlich ausführlicher behandelt wurden. Ein Beispiel sind die kurzen Rückblenden auf die wechselhafte und von einer privaten Tragödie überschattete Beziehung zwischen Veronica und Harry, doch auch die vierte, gerade Mutter gewordene Witwe Amanda (Carrie Coon, "Die Verlegerin") – die Veronica als einzige persönlich kennt und deshalb nicht in den Raub hineinzieht –, der für den Wahlkampf mitentscheidende afroamerikanische Prediger Wheeler (Jon Michael Hill, TV-Serie "Elementary") oder auch Alices reicher Architekten-Liebhaber David (Lukas Haas, "Brick") hätten genug Stoff für mehr Szenen geboten. Und aus persönlichen Gründen war ich ganz besonders enttäuscht, daß die Rolle von Garret Dillahunt – für mich schon seit Jahren einer der meistunterschätzten Schauspieler in Hollywood – als Veronicas loyaler Fahrer Bash nicht größer ausgefallen ist. Die Planungen für den Raubzug, die in der TV-Serie (soweit ich gelesen habe) großen Raum einnahmen, sind ebenfalls eher rudimentär gehalten und werden kaum durch große Rückschläge oder scheinbar unüberwindbare Hindernisse gebremst. Das war sicher eine sehr bewußte Entscheidung von McQueen und Flynn, denen das dialogstarke Beziehungsgeflecht zwischen den Figuren sowie die (manchmal vielleicht etwas plakative) Gesellschaftskritik offensichtlich und legitimerweise wichtiger waren in diesem sich weit von klassischen "Heistfilmen" entfernenden Werk, aber ein bißchen stärker hätte man den von einem insgesamt ungewohnt zurückhaltenden Score von Hans Zimmer begleiteten Coup trotzdem in den Vordergrund rücken können. Dennoch ist klar: "Widows" mag sich thematisch ein wenig mehr vorgenommen haben als man in zwei Stunden angemessen abhandeln kann, aber lieber zur Abwechslung ein überambitionierter Thriller als ein weiterer mehr oder weniger ideenloser Genrevertreter von der Stange. McQueen beweist jedenfalls nachdrücklich, daß er mehr kann als "nur" Drama – wenn er jetzt noch irgendwann mit einer meisterhaften Komödie daherkommt, bin ich wirklich beeindruckt …

Fazit: "Widows – Tödliche Witwen" ist ein ungewöhnliches und erfreulich komplexes Thriller-Drama mit interessanten Figuren, guten Dialogen und einem exzellenten Schauspielensemble – leichte Abzüge gibt es für eine gewisse thematische Überfrachtung.

Wertung: 8,5 Punkte.


Bei Gefallen an meinem Blog würde ich mich über die Unterstützung von "Der Kinogänger" mittels etwaiger Bestellungen über einen der amazon.de-Links in den Rezensionen oder über das amazon.de-Suchfeld in der rechten Spalte freuen, für die ich eine kleine Provision erhalte.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen