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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Donnerstag, 2. Juli 2020

EUROVISION SONG CONTEST: THE STORY OF FIRE SAGA (2020)

Regie: David Dobkin, Drehbuch: Will Ferrell und Andrew Steele; Musik: Atli Örvarsson
Darsteller: Will Ferrell, Rachel McAdams, Dan Stevens, Pierce Brosnan, Mikael Persbrandt, Melissanthi Mahut, Demi Lovato, Ólafur Darri Ólafsson, Graham Norton, Jamie Demetriou, Jóhannes Haukur Jóhannesson, Björn Hlynur Haraldsson, Salvador Sobral, Aiste Gramantaite, Loreen, Alexander Rybak, Conchita Wurst, Netta, Jamala, John Lundvik, Anna Odobescu, Bilal Hassani, Jessy Matador, Elina Nechayeva
Eurovision Song Contest: The Story of Fire Saga
(2020) on IMDb Rotten Tomatoes: 63% (5,8); Altersfreigabe: 12; Dauer: 123 Minuten.
Als der in der isländischen Kleinstadt Húsavik nach dem frühen Tod seiner Mutter bei seinem alleinerziehenden Vater Erick (Pierce Brosnan, "Mamma Mia!") aufwachsende Lars Erickssong (Will Ferrell, "The Producers") und seine Freundin Sigrit (Rachel McAdams, "Doctor Strange") als kleine Kinder den legendären ABBA-Auftritt mit "Waterloo" beim Eurovision Song Contest 1974 live im Fernsehen mitverfolgen, ist klar: Sie wollen irgendwann selbst bei diesem größten Musikwettbewerb der Welt mitmachen – und ihn gewinnen! Vor allem Lars widmet sich in den folgenden Dekaden mit all seiner Leidenschaft diesem Ziel, während Sigrit es zwar teilt, aber wohl in erster Linie wegen ihrer heimlichen Liebe zu Lars Teil ihrer Band Fire Saga bleibt. Und tatsächlich scheint ihr musikalisches Ziel näherzurücken, als sie durch einen glücklichen Zufall am nationalen Vorentscheid teilnehmen dürfen. Der geht für sie zwar katastrophal in die Hose, aber als die eigentliche Siegerin Katiana (US-Sängerin Demi Lovato) ausfällt, rücken Fire Saga nach. Voller Enthusiasmus reisen sie zum Wettbewerb nach Edinburgh, wo allerdings einiges schiefgeht und der charismatische russische Topfavorit Alexander Lemtov (Dan Stevens, "The Guest") mit seinem Werben um Sigrit für zusätzliche Komplikationen sorgt …

Kritik:
Wenn man einen Schauspieler benennen müßte, der für einen sehr US-amerikanischen Humor steht, dann wäre Will Ferrell sicher eine gute Wahl. Immerhin ist der Comedy-Spezialist und "Saturday Night Live"-Alumnus in den USA seit rund zwei Jahrzehnten ein Superstar, der dort als Hauptdarsteller schon erstaunliche acht Filme über die traditionelle Blockbuster-Schwelle eines Einspielergebnisses von mehr als $100 Mio. führte. Von diesen acht Komödien konnten jedoch lediglich die beiden "Daddy's Home"-Teile mit Mark Wahlberg international ansatzweise mit den US-Ergebnissen mithalten, wogegen Filme wie "Buddy – Der Weihnachtself", "Ricky Bobby", "Old School", "Anchorman", "Die Eisprinzen" oder "Die etwas anderen Cops" im Rest der Welt nur auf einen Bruchteil der nordamerikanischen Zuschauerzahlen kamen. Da liegt der Verdacht nahe, daß das in der Tat primär Ferrells recht, nunja, rustikalem Humorverständnis geschuldet ist, das stark auf Albernheit und Grimassen setzt und nur selten auf hintersinnigen Witz. Insofern wirkt es auf den ersten Blick sehr unglücklich, ausgerechnet diesen Will Ferrell zum Hauptdarsteller einer Netflix-Komödie über den in den USA weitestgehend unbekannten Eurovision Song Contest zu machen. Doch gibt es dafür einen guten Grund: Ferrell ist mit einer Schwedin verheiratet und durch diese lernte er den ESC kennen und so sehr lieben, daß er schließlich die Idee zu diesem Film hatte, dessen Drehbuch er mit dem langjährigen "Saturday Night Live"-Autor Andrew Steele verantwortet. Anders formuliert: Ohne Ferrell wäre "Eurovision Song Contest: The Story of Fire Saga" wohl nie Wirklichkeit geworden. Und das wäre schade gewesen, denn obwohl sich an Ferrells Humor nicht viel geändert hat, ist ihm eine etwas zu lange, aber über weite Strecken amüsante und merklich liebevolle Hommage an den ebenso beliebten wie oft belächelten Musikwettbewerb gelungen – die passenderweise genau in dem Jahr erscheint, in dem der echte ESC wegen der Corona-Pandemie abgesagt werden mußte.

Will Ferrell selbst tut in "Eurovision Song Contest" das, was er immer tut: Er spielt mit seiner patentierten Kombination aus stoischem Ernst und hemmungslos übertriebenem Grimassieren einen lauten, eher schlichten, aber leidenschaftlichen Kerl mit dem Herz am rechten Fleck, der zahlreiche Hindernisse überwinden muß, um sein Ziel zu erreichen. Wer Ferrell-Filme mag, der bekommt also mehr vom Gewohnten, wer sie (wie ich) eher nicht so sehr mag, leider auch. Zum Glück nimmt sich Ferrell in der sehr vorhersehbaren, aber durchaus effektiven Story etwas zurück und läßt auch seinen Co-Stars Rachel McAdams und (in etwas geringerem Umfang) Dan Stevens erfreulich viel Raum. Vor allem McAdams nutzt das weidlich aus und offenbart als liebenswert naive, aber von Großem träumende Sigrit nach "Game Night" erneut ungeahntes Comedy-Potential. Während Ferrells Lars die plumperen, manchmal auch unter die Gürtellinie zielenden Gags übernimmt – die erfreulicherweise weniger Fremdschäm-Momente beinhalten als man befürchten konnte und teilweise richtig witzig sind –, ist Sigrit das Herz von "Eurovision Song Contest". In mehrfacher Hinsicht dazwischen steht Dan Stevens, der als selbstverliebter russischer Charmebolzen und Favorit Alexander (der trotz betont homoerotischer Bühnenshow garantiert nicht schwul ist, denn wie er Sigrit glaubhaft versichert, gibt es in Russland gar keine Homosexuellen – das ist Fakt!) dem überforderten Lars seine Sigrit streitig zu machen droht, aber vom Film sympathischerweise nie als Bösewicht gezeichnet wird. So sehr man über Will Ferrells Talente streiten kann, muß man ihm eines übrigens lassen: Während Dan Stevens ein Stimmdouble hat und Rachel McAdams' Stimme per Computer mit der der schwedischen ESC 2006-Teilnehmerin Molly Sandén vermischt wurde, singt Ferrell alles selbst. Zugegeben, das hört man auch, da Ferrells Sangesfähigkeiten ähnlich limitiert sind wie die schauspielerischen – aber das macht er mit vollem Einsatz und Leidenschaft sympathisch wett (was ein bißchen an Russell Crowe in "Les Misérables" erinnert).

Generell zählt die Musik eindeutig zu den Stärken von "Eurovision Song Contest". Die Lieder der Teilnehmer, die wir zu hören bekommen, könnten problemlos im echten ESC zu hören sein und sind – zumindest die, die wir in ganzer Länge zu hören bekommen – sogar richtig gut. Ein echtes Highlight ist zudem ein "Song-A-Long" in der Mitte des Films, in dem auf einer großen Party in Alexanders Anwesen neben aktuellen Wettbewerbern zahlreiche reale frühere ESC-Teilnehmer von Conchita Wurst (Österreich) über Netta (Israel) und Loreen (Schweden) bis hin zu Jessy Matador (Frankreich) und Alexander Rybak (Norwegen) zu hören sind. Für Lacher sorgt auch der irische TV-Moderator Graham Norton, der bereits mehrfach für die BBC den echten Wettbewerb kommentiert hat und im Film vor allem die pannengeplagten isländischen Auftritte herrlich süffisant begleitet. Die Handlung selbst ist, wie erwähnt, dünn und generisch (und kurioserweise erinnert sie vor allem zu Beginn an die norwegische Heavy Metal-Komödie "Heavy Trip"), kommt aber mit ein paar guten Einfällen wie der Einbeziehung der isländischen Elfen (an die Sigrit glaubt, Lars nicht) oder einer Gruppe gutgläubiger junger US-Touristen, die von Lars ausgiebig beschimpft werden, daher. Pierce Brosnans Rolle als von den Ambitionen seines Sohnes schwer genervter Erick Erickssong ist dramaturgisch nur wenig ergiebig, macht aber trotzdem Laune, da Brosnan wie das gesamte Ensemble offensichtlich viel Spaß bei den Dreharbeiten hatte. Über ein paar faktische Fehler speziell im Halbfinale (an dem etwa auch eigentlich direkt fürs Finale qualifizierte Länder wie Spanien und Deutschland teilnehmen), die angesichts der direkten Zusammenarbeit mit den ESC-Organisatoren überraschen, sieht man da gerne hinweg, zumal sie dramaturgisch nachvollziehbar sind und sich außerdem die Regeln in der Realität ja sowieso alle paar Jahre ändern.

Fazit: "Eurovision Song Contest: The Story of Fire Saga" ist ein inhaltlich eher anspruchsloses und humortechnisch nicht immer geschmackssicheres, aber insgesamt sehr unterhaltsames Feelgood-Movie mit guter Musik und einer spielfreudigen Besetzung.

Wertung: 7 Punkte.

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