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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Donnerstag, 14. Mai 2020

THE LIMEHOUSE GOLEM (2016)

Regie: Juan Carlos Medina, Drehbuch: Jane Goldman, Musik: Johan Söderqvist
Darsteller: Bill Nighy, Olivia Cooke, Daniel Mays, Sam Reid, Douglas Booth, María Valverde, Eddie Marsan, Graham Hughes, Henry Goodman, Morgan Watkins, David Bamber, Amelia Crouch, Adam Brown, Paul Ritter, Peter Sullivan
 The Limehouse Golem - Das Monster von London (2016) on IMDb Rotten Tomatoes: 74% (6,5); weltweites Einspielergebnis: $2,3 Mio.
FSK: 16, Dauer: 109 Minuten.
Im viktorianischen England des 19. Jahrhunderts wird der erfahrene Inspektor John Kildare (Bill Nighy, "Tatsächlich … Liebe") mit den Ermittlungen in Sachen "Limehouse Golem" betraut – einem Serienmörder, der London unsicher macht und selbst vor brutalen Morden an Frauen und Kindern nicht zurückschreckt. Es ist jedoch trotz seiner unbestrittenen Fähigkeiten der erste Mordfall für Inspektor Kildare, den er zudem nur deshalb übertragen bekommt, weil er im Falle des Scheiterns ein willkommener Sündenbock wäre – immerhin hat er angesichts anhaltender Gerüchte über seine sexuelle Orientierung sowieso keine große Karriere im Polizeidienst mehr in Aussicht. Mit der Unterstützung von Constable George Flood (Daniel Mays, "1917") entdeckt Kildare rasch, daß die Golem-Morde mit einem anderen Kriminalfall in Verbindung stehen: Die beliebte Varieté-Darstellerin Elizabeth "Lizzie" Cree (Olivia Cooke, "Ready Player One") ist des Giftmordes an ihrem Gatten, dem Bühnenautor John Cree (Sam Reid, "Anonymus"), angeklagt. Als sich herausstellt, daß ebenjener John Cree zu einer Handvoll Verdächtigen als "Limehouse Golem" zählt, versucht Kildare alles, um den Verstorbenen als Serienmörder zu überführen und so Lizzie vor dem Galgen zu retten …

Kritik:
Es gibt möglicherweise kein (Sub-)Genre, das so dezidiert britisch ist wie der viktorianische Horror-/Grusel-/Mysterfilm – was schon deshalb logisch ist, da sich das viktorianische Zeitalter nunmal auf das Großbritannien des 19. Jahrhunderts zur Regierungszeit von Königin Victoria von 1837 bis 1901 bezieht. Von einigen Hammer Films-Produktionen über Werke wie "Die Frau in Schwarz" (wie "The Limehouse Golem" nach einem Skript von Jane Goldman), die Edgar Allan Poe-Adaption "Stonehearst Asylum" oder auch in Großbritannien spielende Hollywood-Filme wie "Crimson Peak", "From Hell" oder "Sweeney Todd" bis hin zu TV-Serien wie "Penny Dreadful" und "Ripper Street" gibt es viele gelungene Genrebeiträge. In die Reihe viktorianischer Schauermärchen fügt sich "The Limehouse Golem" von dem in den USA geborenen, aber seit langem in Großbritannien arbeitenden Regisseurs Juan Carlos Medina (TV-Serie "A Discovery of Witches") harmonisch ein, der auf Grundlage eines 1994 veröffentlichten Romans von Peter Ackroyd typische Elemente dieses Genres für eine spannende und unterhaltsame, wenn auch teilweise überkonstruierte Krimigeschichte über die Jagd nach einem brutalen und skrupellosen Serienmörder vereint und dabei amüsant historische Persönlichkeiten in den Verdächtigenkreis aufnimmt.

Als einen Horrorfilm würde ich "The Limehouse Golem" derweil eher nicht bezeichnen, denn obgleich es speziell bei den (nur in Rückblenden und nicht wirklich explizit gezeigten) Morden durchaus ein paar heftigere Szenen gibt, dominieren eindeutig die Krimi- und Drama-Elemente. So dürfte Medinas Film für manche Zuschauer auch zu bedächtig erzählt sein, denn obwohl Inspektor Kildares Ermittlungen eigentlich ein Rennen gegen die Zeit sind – ehe Lizzie seiner Ansicht nach zu Unrecht oder zumindest ohne Berücksichtigung sämtlicher Fakten zum Tode verurteilt wird –, läßt sich "The Limehouse Golem" ziemlich viel Zeit beim Ausbreiten seiner Geschichte. Wer jedoch keinen gesteigerten Wert auf Actionsequenzen oder Schockmomente legt, wird belohnt mit einem Film, der mit sehenswerten Kulissen und Kostümen sehr stimmig das für die meisten Bürger eher wenig glorreiche viktorianische Zeitalter zum Leben erweckt und mit vielen Verdächtigen in der Krimihandlung die Spannung bis zum Schluß hochhält. Der Clou ist dabei das Buch voller Notizen des Mörders, das Kildare findet, denn da sich die Anzahl der möglichen Autoren auf etwa ein halbes Dutzend eingrenzen läßt, klappert er sie der Reihe nach ab und läßt sie einige Zeilen der Texte aufschreiben, um die Handschrift zu vergleichen. Das Geschriebene wird währenddessen in einer Art Rückblende visualisiert, in der sich der jeweilige Verdächtige in der Rolle des Täters befindet – was dadurch besonders reizvoll wird, daß sich unter diesen Verdächtigen einige historische Persönlichkeiten befinden, darunter kein geringerer als Karl Marx (Henry Goodman, "Avengers: Age of Ultron")! Und Karl Marx, Autor des Kommunistischen Manifests, als brutalen Mörder zu sehen, ist nun wahrlich ein ebenso seltenes wie – trotz der Umstände – hochgradig amüsantes Vergnügen!

Zugegebenermaßen gehen diese Rückblenden mit wechselnden Hauptfiguren mit einem nicht ganz unerheblichen logischen Manko einher: Sie funktionieren eigentlich nur, solange Kildare die Aufzeichnungen des Killers nicht vorher gelesen hat, sondern erst, als die Verdächtigen sie aufschreiben. Hätte Kildare sie nämlich bereits gelesen – und es gibt keine gute Begründung dafür, warum er das nicht hätte tun sollen –, dann hätte er sich einige Wege sparen können, da es sonnenklar ist, daß ein paar der theoretisch Verdächtigen als Mörder überhaupt keinen Sinn ergeben. Für einen Krimi ist das ein recht ärgerlicher Fehler, der stark an der Glaubwürdigkeit der Story und vor allem des angeblich so fähigen Inspektors zweifeln läßt. Gleichzeitig wäre das Publikum ohne diesen Fehler um das Vergnügen der wechselnden Rückblenden gebracht worden, weshalb ich mit dieser Lösung trotz allem leben kann, zumal sich das Drehbuch der von mir sehr geschätzten Jane Goldman ("Der Sternwanderer") ansonsten wenig Blößen gibt und auch gesellschaftliche Mißstände jener Zeit wie die sexuelle Ausbeutung und generelle Diskriminierung von Frauen thematisiert. Bezüglich der Figurenzeichnung entpuppt sich Lizzie als eine faszinierende, ambivalente Person, die dank des Gerichtsprozesses recht ausführlich und über weite Strecken glaubwürdig gezeichnet ist und von Olivia Cooke mit einer passenden Kombination aus Verletzlichkeit und Selbstbewußtsein interpretiert wird. Die übrigen Figuren bleiben deutlich oberflächlicher, was sich angesichts der Fülle an Verdächtigen wohl kaum vermeiden ließ. Zumindest sind die Personen aus Lizzies engstem Umfeld, zu denen neben dem janusköpfigen John Cree vor allem ihr Varieté-Mentor Dan Leno (Douglas Booth, "Jupiter Ascending") – wie Marx eine historische Persönlichkeit –, ihre eifersüchtige Kollegin Aveline (María Valverde, "Exodus") und der Theaterbesitzer "Onkel" (Eddie Marsan, "The Gentlemen") zählen, interessant und markant gestaltet, sodaß sie auch als wahre Täter in Frage kommen. Enttäuschend ist hingegen, daß wir von Inspektor Kildare kaum mehr erfahren als die Sache mit den Gerüchten über seine Sexualität. Zwar lernen wir ihn durch seine Ermittlungsmethoden und durch seinen Einsatz für Lizzie trotzdem etwas besser kennen und Bill Nighy verkörpert diesen Polizei-Außenseiter (der gerade deshalb eine Verbindung zu Lizzie zu spüren scheint) gewohnt charismatisch; doch dafür, daß er eigentlich die zentrale Figur von "The Limehouse Golem" ist, bleibt Inspektor Kildare überraschend blaß. Wenngleich das zweifellos bedauerlich ist, funktioniert diese atmosphärisch gestaltete viktorianische Schauermär insgesamt dennoch gut und sollte bei Anhängern des Genres viele Freunde finden.

Fazit: "The Limehouse Golem" ist ein düsteres, gut ausgestattetes und besetztes historisches Krimidrama mit Horror-Elementen, das trotz einer phasenweise arg auffällig konstruierten und eher gemächlich erzählten Handlung durchgehend gut unterhält.

Wertung: 7,5 Punkte.


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